Mr. Ed am Ende (Part III)

Froh darüber, dass unser Hab und Gut immer noch im Zimmer ist, stehen wir nach kurzer Nacht mit einem hohen Erschöpfungsgrad auf. Am vorherigen Abend erschien uns das Zimmer klein. Über Nacht muss es geschrumpft sein. Zwei Rollstühle, drei Reisekoffer, drei Rucksäcke und zwei nur halb einsatzfähige Personen kämpfen um jeden Zentimeter im Zimmer. Einen Koffer voll zu öffnen, ist unmöglich. So unmöglich wie das Licht der altertümlichen Lampen. Farbe des T-Shirts? Dunkel! Im Zug stellt sich heraus, es ist rot.

Nun aber wieder zu Mr. Ed. Er und zwei Reisekoffer bleiben im Zimmer und werden später abgeholt und nach Jasper transportiert. Wir hoffen, sie werden Mr. Ed mit der ihm zustehenden Sorgfalt behandeln. Nach der gestrigen Erfahrung sind wir uns aber diesbezüglich nicht sicher. Während der Zugsfahrt laufen die Drähte, respektive in unserer modernen Zeit die Funkverbindungen zwischen dem Zug und der Zentrale in Vancouver heiss. Immer wieder wird uns das Bedauern über die Situation versichert. Laufend informieren sie uns über den Stand ihrer Bemühungen.

Gegen halb sechs Uhr erreichen wir den Bahnhof Jasper. Kurz vorher wird uns der Bordmechaniker Jason vorgestellt, der sich um die Reparatur von Mr. Ed kümmern wird. Er strahlt eine solche Zuversicht aus, dass wir uns sicher sind, dass er es schaffen wird. Kaum in der Bahnhofshalle angekommen, kümmern sich unzählige Leute um uns und Jason nimmt sich sofort Mr. Ed vor. Sein Strahlen verliert er auch beim Anblick des Häufchen Elends Mr. Ed nicht.

Elsa (jung und hübsch), Mary (70, welt-, lebens- und reiseerfahren), Jack (wahrscheinlich nur unwesentlich jünger als das 1925 erbaute Bahnhofsgebäude) und Tim, ein Mitvierziger mit einem stets lächelnden Gesichtsausdruck. Mit Tim werden wir noch viel lachen können. Als ich ihm sage, dass mein Rollstuhl Mr. Ed heisse, erinnert er sich sofort an die Fernsehsendung Mr. Ed und singt uns die Titelmelodie vor. Dann werden seine Augen gross und er ist verwundert, dass ich als Europäer die Sendung kenne. Jedenfalls fällt ein Spruch nach dem anderen. Gegenseitig treiben wir uns von einem Lachen zum nächsten.

Während wir uns amüsieren, arbeiten inzwischen fünf Leute an der Lösung unseres kleinen grossen Problems. Mal beugen sich vier Leute über Mr. Ed, Jason liegt unter ihm. Und Jason versichert uns, dass er keine Angst vor Pferden hätte. Ersatzteile werden auf dem ganzen Bahnhof gesucht. Und wären solche am Zug zu finden gewesen, sie hätten sie wohl abgeschraubt. Nach einer Stunde ist es dann soweit: Sitzprobe auf Mr. Ed. Und sie ist erfolgreich. Alle strahlen um die Wette. Mr. Ed ist nicht am Ende. Provisorisch geflickt, aber funktionstüchtig. Die Reise kann weitergehen mit einem gebrochenen rechten Arm, einem gelähmten linken Arm und einem lädierten Mr. Ed.

More to come — stay tuned!

Mr. Ed am Ende (Part II)

20 Minuten nach dem Gespräch mit Rob klopft es an der Tür und vor ihr steht eine ältere Frau (mit einem einfachen wackligen Ersatrollstuhl), die wir in den Mitsiebzigern schätzen. Vera und ich schauen uns mit langen Gesichtern an. Die Länge dieser wächst noch an, als wir wiederum ihr Gesicht sehen, das innert Sekunden eine Verzehnfachung ihrer Altersfalten erfährt. Was sie denkt, äussert sie nicht. Ist es die Unordnung, die ihr die Sprache verschlagen hat? Oder der daliegende Rollstuhl, für den sie im Moment keine Lösung sieht? War ihre Stirn bis zu diesem Zeitpunkt noch faltenfrei, änderte das mit dem Anblick von Veras eingegipstem Arm.

Es war wieder einer dieser Momente, der förmlich nach einer Auflockerung schrie: Don’t worry, be happy. Ich erklärte ihr, dass wir es ja gut hätten: Mit je einer linken und einer rechten Hand liesse sich Fleisch schneiden, applaudieren. Sie dreht ihr Gesicht ab, damit wir nicht sehen, dass sie ihr Lachen unterdrücken muss. Aber nach meinem Einschub, dass shit happens und man entweder die Taube oder das Denkmal sei, prustet sie los. I’m so sorry, but it’s so funny. Tränen steigen ihr in die Augen auf, sie kriegt sich fast nicht mehr ein. Was will man auch anderes tun, als über die Situation zu lachen. Zwei Einarmige auf dem Weg durch Kanada.

Nachdem sie den Schaden aufgenommen und mit Carolyn telefoniert hat, verabschiedet sie sich mit dem Versprechen, bei jedem Denkmal an uns zu denken.

Mr. Ed steht wie ein Häufchen Elend im kleinen Zimmer. Nach diesen Tagen kann es nur noch der Galgenhumor sein, der uns nicht unser ganzes Hab und Gut aus dem Fenster werfen lässt. Und wenn es nicht der Galgenhumor ist, dann ist es der Tatsache geschuldet, dass es mit nur je einer linken und einer rechten Hand wohl nicht zu schaffen gewesen wäre…

More to come – stay tuned!

Mr. Ed am Ende (Part I)

Obwohl ich vor der Kanada-Reise zehn Kilo abgenommen habe, scheint es Mr. Ed zu viel Gewicht zum Bewegen gewesen zu sein. Jedenfalls kapitulierte er, sackte in die Knie und liess sich auch mit gutem Zureden nicht mehr dazu bewegen aufzustehen und mich zu unterstützen. Nach einer Inspektion meinerseits war klar, dass wir nun einen weiteren Patienten haben. Verbindungsstreben sind gebrochen. Ein Fortkommen undenkbar. Er wurde zusammen mit dem Gepäck auf einem Lastwagen von Vancouver zum Übernachtungsort Kamloops transportiert. Die kanadische Wildnis, die Wetterbedingungen oder sein Verdruss, nicht mit uns reisen zu dürfen, scheinen ihn im wahrsten Sinn des Wortes verletzt zu haben.

Die Situation wurde nicht einfacher, waren wir doch dem Namen nach (The Plaza) an einer guten Adresse einquartiert. Es ist das älteste Hotel in der Stadt mit einer eindrucksvollen Geschichte, wenn man den Anschlägen im antiquierten Lift glauben will. Und man kann fast behaupten, es ist noch im Zustand seiner Erbauung. Schöne Wasserhähne mochten die Stimmung nicht wirklich zu verbessern. Dass es im Zimmer geisterte (Licht stellte ab und an), passte zum Ambiente. Wahrlich kein gastfreundlicher Ort.

Und dann auch noch das kleine Problem mit Mr. Ed. Dass er mit nicht mehr zu Diensten stand, zeigte eindrücklich meine Abhängigkeit auf. Er fehlte zum einen als sichere Fläche zum Absitzen, als Halt, wenn’s um ein paar Schritte zu Fuss machen zu können geht. Und vor allem fehlte seine Motorkraft, um vorwärts zu kommen. Der von der Reisegesellschaft organisierte Ersatzrollstuhl mag für ein Alters- und Pflegeheim gut sein. Aber soweit bin ich noch nicht und hoffe, es lange noch nicht zu sein.

Im Moment ist nicht ganz klar, wie die Reise weitergehen soll. Nach Telefonaten mit Carolyn vor Ort, Manager Rob von der Rocky Mountaineer-Zentrale in Vancouver entscheiden wir, mit dem Zug die Reise nach Jasper weiterzumachen. Und nach den verschiedenen Gesprächen bekommen wir das Gefühl, die Kanadier werden für Mr. Ed und uns eine gute Lösung finden.

More to come – stay tuned!

Das andere kanadische Souvenir

Rückblick auf Frühling 2014: Nur dank einer Eisenkette endete der Höllenritt auf Mr. Ed nicht in der Bucht. (Die ganze Geschichte gibt es hier nachzulesen.)

Sonntag, 7. Oktober 2018: Vor wenigen Minuten sind wir mit dem Bus in Victoria angekommen. Das Wetter nasskalt, aber das Hotel in Sicht. Unzählige Museen bieten Alternativen zu einem Stadtbummel. Die Pläne für einen interessanten Nachmittag mit einem anschliessenden feinen Nachtessen sind gemacht.

Doch dann gerät die Planung unvermittelt durcheinander. Ein Wuschhh, ein Plumps gefolgt von einem Aua Sch….. Vera liegt am Boden und hält sich die rechte Hand. Sofort kommen Leute zu uns und wollen ihr helfen. Eine ältere Frau fragt, ob sie die Ambulanz rufen soll, was sie dann auch tut. Veras Gesichtsfarben wechseln im Takt der Ampel in Sichtweite. Nach einer gefühlten Ewigkeit trifft die Ambulanz ein und bringt Vera in ein nahegelegenes Hospital.

17:20: Bin im Ambi-Wartesaal. Voll! Wird dauern! Musste 1040$ bezahlen.

17:26: Da steht, dass man 3-5 Std. warten muss.

17:37: Hoffe, dass ich nicht hier bleiben muss.

17:53: Röntgen

18:31: Also: gebrochen und verschoben. Sie richten es unter Narkose und gipsen. Narkose daure 10 Min..

18:40: Jetzt geht’s mir besser. Wir können weiterreisen 😊

20:21: Bin wieder wach. Gut gegangen noch etwas dusselig

20:35: Kannst du bitte schauen, dass ich/wir noch etwas zu essen bekommen? Weiss nicht, wann ich entlassen werde.

20:50: Warte auf den Arzt. Er schreibt eine Bestätigung für das Spital in Calgary oder Toronto um zu kontrollieren, dass der Knochen nicht verrutscht ist.

22:24: Komme bald mit dem Taxi.

22:39: Bin unterwegs

Mit einem blau eingegipsten rechten Arm kommt sie um 23 Uhr im Hotel an. Nun, die einen kaufen sich in Shops irgendwelche Souvenirs, Vera wollte wohl ein spezielles mit nach Hause nehmen.

Ja, und so wird die Reise ab sofort abenteuerlicher. Der einarmige Rollstuhlfahrer (der linke Arm ist wegen starker Spastik nur teilweise einsetzbar) wird von nun an von einer einarmigen Freundin begleitet. Ein linker Arm und ein rechter Arm. Perfekt! Zusammen geht vieles; applaudieren, Fleisch schneiden, Schuhe binden…

Der Stimmung war es glücklicherweise nicht abträglich. Beim Frühstück strahlt Vera jedenfalls wieder und die Reise kann weitergehen. Abbruch des Trips und Rückflug ist keine Option: Vera hat eine Woche Flugverbot.

More to come – stay tuned!

Und am Schluss klappt doch (fast) alles

Nun, unsere Reise nach Kanada ist nicht die erste Reise mit Rollstuhl. Verschiedene Destinationen mit unterschiedlichen Herausforderungen standen schon auf dem Programm: Barcelona, Berlin (2x), Hamburg, Cran Canaria, San Francisco. Da meint man, man hätte schon fast alles erlebt.

In Hamburg landeten Mr. Ed und ich an einer U-Bahn-Station, die gemäss Plan rollstuhlttauglich sein sollte. Sie war es nicht. Einzig ein Treppenlift stand zur Verfügung. Mit dem Stationstelefon meldete ich mich bei der Zentrale. Ja, die U-Bahn-Station wird rollstuhltauglich sein. Aber erst 2021, sofern der Hamburger Senat dem Vorhaben zustimmt. Perfekt! Soll ich nun die sieben Jahre hier unten warten? Dank meines Sohnes und noch vorhandener Gefähigkeit fand sich eine Lösung über die Rolltreppe.

In Hamburg war das Problem ebenfalls technischer Natur. Auf die Frage des Ramp Agents zu den Leistungsdaten von Mr. Ed wusste ich keine Antwort. Woher auch. Er erleichtert mir das Vorwärtskommen mit einem Motor, ähnlich eines E-Bikes. Über Umwege auf dem langsamen Internetzugang am Hamburger Flughafen liessen sich die verlangten Informationen nicht eruieren. In letzter Minute durften Mr. Ed und ich noch mit.

Einst sang Lili Marlen „Ich hab noch einen Koffer in Berlin, drum muss ich nochmals hin“. Ich hätte ähnliches singen können: Mr. Ed blieb in Berlin. In Zürich waren dann einige Leute damit beschäftigt, Vera und mich nach Hause zu bringen. Eine Stunde nach unserer Rückkehr war dann auch Mr. Ed wieder bei mir.

Die Reise nach Vancouver war insofern speziell, als ich zusätzlich mit einem Rollstuhlzuggerät unterwegs bin. Sorgfältig wie ich Reisen vorbereite, meldete ich mich rechtzeitig bei der Fluggesellschaft Air Canada, um mein zusätzliches Gepäck voranzumelden. Schliesslich wiegt das Zuggerät 65 kg und bedarf besonderer Behandlung. Aber die Kanadierin am Telefon verstand mich nicht wirklich. Swiss Trac – Swiss what? GeklappT hat’s am Schluss trotzdem. Obwohl, wie soll man als Rollstuhlfahrer den Swiss Trac aus solch einem Gewühl und zuhinterst fischen?

Einem US-Amerikaner sei dank, dass ich trotzdem zu meinem Swiss Trac kam. Und es bewährte sich einmal mehr, freundlich zu sein und sich gut in Englisch verständigen zu können.

More to come – stay tuned!

Reiseroute

Nun, da steht noch keine Geschichte. Trotz langem und intensivem Nachdenken klappt es mit dem Erzählen noch nicht. Das Reiseprogramm wird für grosse Augen und fragendes Kopfschütteln sorgen. Da sind wir uns sicher. Und so spielen wir auf einfache Weise den Aktivitätsball den Blogleserinnen und -leser zu.

Unsere Route:

Flug Zürich – Vancouver

Vancouver

Victoria

Zugsfahrt Vancouver – Kamloops – Jasper

Banff

Calgary

Flug Calgary – Toronto

Toronto

Niagarafälle

Ottawa

Montreal

Québec

Halifax

Flug Halifax – Toronto – Zürich

Wir starten am 5.10. und werden am 27.10. wieder zurück sein.

Und? Reist du nicht mehr?

Das war und ist die am meisten gestellte Frage der letzten vier Jahre. Mein Blog blieb ohne Aktualisierung. Was waren die Gründe? Gibt es überhaupt mehrere Gründe? Oder war es nur der eine Grund, nämlich Faulheit?

Nun, bald geht es wieder auf eine grössere Reise. Das Reiseziel: Kanada. Und dieser Blog wird wieder etwas zu bieten haben.

Stay tuned…

May I help you?

Noch berührt meine Hand den Türgriff nicht, da höre ich eine Stimme hinter mir: „May I help you?“ „Yes you can“, antworte ich freundlich in Richtung der Stimme und lächle. Ich habe in den letzten drei Wochen gelernt, Hilfe anzunehmen. Nicht, weil ich sie wirklich gebraucht hätte. Dienen und helfen scheint für viele Amerikaner und Kanadier selbstverständlich zu sein.

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