We all are family (und sitzen alle im gleichen Boot) Teil 2

Die Vorstellung, in einem Notfall mit anderen Passagieren in einem kleinen Rettungsboot über Tage auf dem Pazifik auf Rettung zu warten, lässt einen inständig bitten, es möge nichts dergleichen passieren. Auf dem Kreuzfahrtschiff ist die Kabine ein Zufluchtsort, wenn der Gesprächs- und Mitteilungsdrang gewisser Mitreisenden gar ausgeprägt ist.

Kaum auf dem Kreuzfahrtschiff angekommen, begann die Fragerei nach meinem speziellen Rollstuhl. Mr. Ed war der Anziehungspunkt. Bis zum Ende der Kreuzfahrt haben mich wohl über 250 Passagiere angesprochen. Hätte ich gewusst, was auf mich zukommen würde, hätte ich wohl die technische Beschreibung von Mr. Ed in englischer Sprache studiert. So wie ich im vorstehende Satz den Konjunktiv überstrapaziere, so gefordert waren meine Englischkenntnisse. Nur, die sind nicht wirklich Rollstuhl-Fachsprache, und so kämpfte ich einige Konversationen lang mit der Suche nach den richtigen Worten. Aber mit jedem Gespräch wurden meine Erklärungen besser und der Wissensdurst der Fragenden grösser, was nichts anderes hiess, als den Wortschatz zu erweitern. Und der wurde von Tag zu Tag grösser und ich routinierter.
Sehr schnell erweiterte sich der Gesprächsstoff um den Fakt, dass ich allein reiste. Hätte ich jemals Hilfe gebraucht, so wären mir unzählige Leute helfend zur Seite gestanden. Lustig mutete jeweils an, wenn die Amerikanerinnen mir auf die Schulter tätschelten und ich mir ab und zu überlegte, mir einen „Nuggi“ (Schnuller) zu besorgen, damit die „Tätschellegitimation“ allein schon durch diesen Umstand ihre Berechtigung gehabt hätte. Aber man will ja nicht so sein. Und vielleicht liess sich die latent vorhandene Gefahr einer Rettungsbootfahrt mit „fremden“ Leuten durch einen seriösen Kapitän möglichst klein halten.

Hatte ich vor der Kreuzfahrt das Gefühl, ich hätte eine grosse Seeerfahrung, so wurde dieser Illusion beim Kennenlernen von Gustavo und Elsa (einem in Miami lebenden mexikanischen Paar) schnell ein Ende gesetzt. Sie sind seit mehreren Wochen auf Kreuzfahrten unterwegs und werden es die nächsten Monate auch noch sein. Das gepflegte Paar gab sehr viel auf Schiffsbekanntschaften und so zählte ich nach einigen Tagen auch zu diesem Kreis. Was mit einem unverbindlichen Gespräch bei einem Aperitif begann, fand seine Fortsetzung beim Nachtessen zu Themen wie der starke Wechselkurs des Schweizer Franken zum Euro und zum Dollar. Einhergehend mit einer Diskussion um Finanzanlagen zu Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheiten und der Frage nach der Zukunft der Europäischen Union. Wie wenig Leute ausserhalb Europas zum Status der Schweiz in Europa weiss, zeigte sich in ihrem Erstaunen über meine Aussage, die Schweiz sei gar nicht Mitglied der EU.

Mitten auf meinem Wheelwalking (Rollstuhlfahrt) durch Victoria wurde ich von Craig angesprochen. Ich erkannte ihn nicht, obwohl er sehr auffällig auf dem Schiff unterwegs war. Immer „bewaffnet“ mit einer Luftmatratze in der Form eines Flip-Flop mit australischem Wappen. In Victoria hatte er sie Luftmatratze nicht dabei, dafür seine Frau. Und sie nahm zwei Abende vorher an einer Talentshow für sich im Singen versuchende „Selbstdarsteller“ teil. So wusste ich wenigstens, dass sie tatsächlich auch auf „meinem“ Schiff waren. Erst war das Gespräch mit ihm schwierig, weil ich sein australisches Englisch nicht wirklich verstand. Und dann wurde es mit ihm schwierig, weil er mich auf dem Schiff wie zufällig wieder traf (ist ja auch schwierig mit Mr. Ed…) und ich ihn fast nicht mehr los wurde.

Aber, und das sei hier ausdrücklich erwähnt, waren die Gespräche mit den anderen Passagieren sehr erfrischend und unterhaltsam. Es gab viel zu lachen und oft war selbst das Anstehen vor dem Lift für alle sehr erheiternd. Wenn wieder einmal ein Lift zu voll war und Mr. Ed und ich keinen Platz darin fanden, dann sorgte mein Ausspruch „Kein Problem, ich habe einen Logenplatz vor dem Lift“ erst zu einem ungläubigen Blick und dann zum Teil zu schallendem Gelächter. Und wenn mir all die Freundlichkeit, aufmunternden Worte und das „Getätschel“ zu viel wurde, dann genoss ich die Freiheiten und die Ruhe in meiner Kabine noch mehr.

Der Kapitän und seine Crew auf der Brücke haben mich sicher wieder zurück nach San Francisco geführt. Und so ist die Familie auf Zeit Vergangenheit.

Stay tuned.