Von Toronto nach Kingston

Pünktlich um 15 Uhr stehen wir in der riesigen Halle der Union Station in Toronto und diskutieren, wo wir den für uns zuständigen Zughelfer treffen müssen. Noch bevor wir uns geeinigt haben, steht ein älterer Herr neben uns und fragt nach Christopher. Der englische Gentleman begleitet uns zum Zug nach Kingston. Neben einer einem Ungeheuer ähnlichen Lokomotive (gross, grün, zischend) vorbei gehts zu unserem Wagen. Der Hebelift steht schon bereit, und bald sind wir im Zug verladen. Was nun folgt, ist ein weiteres unvergleichliches Erlebnis: Empfangen werden wir von Luis-Angel, einem Kubaner, der fliessend Englisch, Französisch und sogar einige Sätze Deutsch spricht. Sehr charmant und mit herzlichem Humor ist er um unser Wohl besorgt. Bald sitzen wir in bequemen Ledersesseln, vor uns steht ein länglicher Klapptisch. Mélanie, eine frankophone Kanadierin kümmert sich um Mr. Ed. Dieser überlässt sich vertrauensvoll den weiblichen Händen und den Gurten, mit denen sie ihn für die Fahrt sichert. Kurz nach der Abfahrt kommt Luis-Angel mit einem Getränkewagen vorbei und fragt nach, welchen Drink wir möchten. Er hat alles dabei: Weisswein, Rotwein, Wodka, Whisky, Rum, Gingerale, Wasser, das obligate Eis und vieles mehr. Dazu gibt es ein Säckchen mit Snacks. Wir sitzen da und staunen. Doch wichtiger als Drinks und Snacks ist uns die vorüberrasende Landschaft. Der Zug fährt 120 – 150 km/h und schwankt dabei hin und her, wenn er über Weichen und Bahnübergänge donnert. Vor jedem Bahnübergang hupt er langanhaltend. Es gibt zahlreiche Hupkonzerte auf der Strecke nach Kingston. Die Reise geht über Land, an immensen Kornfeldern, Wiesen und herbstlich gefärbten Wäldern vorbei. Auf der anderen Seite taucht ab und zu der riesige Lake Ontario mit Sandstränden und malerischen Buchten auf. Nicht lange nach dem Apéro erscheint Mélanie und fragt, welches Menü wir gerne hätten. Essen gäbe es schon um 16.30 Uhr, da der Zug um 18.00 Uhr in Kingston ankomme. Wir sitzen da und staunen noch mehr. Ein Menü, das im Fahrpreis inbegriffen ist? Ein dreigängiges Menü, wohlgemerkt. Wir haben die Wahl zwischen Fish, Chicken oder Pork mit unterschiedlichen Beilagen, dazu Salat und ein Stück Kuchen. Zu Kaffee oder Tee gibt es einen Riegel Schokolade. Wir sitzen da, staunen und geniessen all das, was uns im Zug und ausserhalb geboten wird. Bald geht unsere Fahrt dem Ende zu und wir machen uns für den Ausstieg bereit. Erst werden Christoph und Mr. Ed ausgeladen. Danach komme ich mit Swiss-Trac und Koffer nach. Als ich wieder festen Boden unter den Füssen habe, schaue ich mich um: Wiesen, Büsche, vereinzelte Bäume, ein kleines Gebäude und eine schmale Strasse. Zum Glück sehe ich an einem Pfosten ein Schild. Kingston steht tatsächlich darauf. Meine erste Frage an Christoph: Wo sind wir denn da gelandet? Alles löst sich in Minne auf (fast alles!). Ein Bus fährt uns ins Zentrum einer hübschen englischen Kleinstadt. Nach einem zehnminütigen Marsch durch Schneegestöber kommen wir im Hotel an. Was noch nicht im Lot ist? Unser Zimmer ist nicht rollstuhlgängig. Für solche Zimmer müsste das Hotel umgebaut werden, erfahren wir vom Rezeptionisten. Zum Glück sind wir gut im Improvisieren. Ein Balkonstuhl muss als Duschstuhl herhalten und die Überschwemmung im Bad nehmen wir gelassen. Noch etwas? Ja! Mr. Ed ist frustriert. Als wir unsere Billette nachträglich genauer anschauen wird klar, dass Mr. Ed einen im Fahrpreis inbegriffenen Snack zugute gehabt hätte. Mélanie hat ihm diesen aber vorenthalten. Die Banane, die ich ihm stattdessen anbiete, verweigert er stur.
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