«Brösarps Gästgifveri»

Wir verlassen Malmö. Meine Sorge vor dem Fahren eines mir unbekannten Mietautos in einer fremden Stadt ist völlig unbegründet. Wir fahren einen supermodernen Audi A6, ein Auto, das so weit von unseren Vorstellungen eines Alltagsautos entfernt ist wie Malmö von Amerika!

Der Vorteil: wir geben dem Navigationsgerät die Adresse in Brösarp, unserem nächsten Ziel, ein und nichts kann mehr schief gehen. Da auch in Schweden innerorts 50 km/h gelten und der Verkehr hier sehr ruhig, schon fast bedächtig ist, steure ich das Luxusgefährt sicher aus der Stadt. Zugegeben: es macht auch Spass, ein solches Auto leihweise zu fahren!

Die Route führt über Land, vorbei an schier unendlich grossen Getreidefeldern, Maisfeldern, Wiesen bis zum Horizont mit Kühen oder Schafen darauf und immer wieder dichten grünen Wäldern. Die Landschaft ist so weit, wie wir sie von Kanada kennen, doch viel abwechslungsreicher und viel flacher. Der höchste Berg hier in der Gegend erhebt sich 97 m über Meer!

Nach einer guten Stunde Fahrt biegen wir ab und erreichen das Dorf Brösarp. Unser Hotel «Brösarps Gästgifveri» ist schnell gefunden. Ich steige die Treppe zum Eingang hoch und trete ein. Geradeaus geht es in die Küche, rechts in das Restaurant, das in gedämpftes Licht getaucht ist und auf den ersten Blick etwas altmodisch wirkt. Links geht es zu einem Raum mit Bar, reichlichem Vorrat an alkoholischen Getränken und einigen Tischen. Die Rezeption ist in die Ecke zwischen Küche und Restaurant gequetscht, eine kleine Theke und einem PC -Bildschirm. Niemand ist hier. Ich sehe Küchen- und Servicepersonal in der Küche und einige im Restaurant herumwuseln. Doch scheint mich niemand zu bemerken. Nach einigen Minuten trete ich ins Restaurant und frage nach dem Check-in. Nach weiteren Minuten tritt die Wirtin, eine attraktive Mittvierzigerin an die Theke. Ein freundliches «Hej hej» und ich fühle mich willkommen. Sie erklärt mir in flüssigem Englisch wie die Schlüssel funktionieren und wo unser Zimmer sei, in einem weissen Haus mit grüner Tür. Das Zimmer sei grösser als die anderen und das WC habe Haltegriffe. Da bin ich ja mal gespannt! Die Skepsis nach dem Kopenhagener Erlebnis sitzt noch tief.

Also zurück auf den Parkplatz zu Christoph, der im Auto wartet. Ich mache mich auf die Suche nach unserem Zimmer: weisses Haus mit grüner Tür. Weisse Häuser gibt es einige, doch sind ihre Türen entweder rot oder blau. Ich sehe mich in der näheren Umgebung des Restaurants um, doch finde ich nichts. Zuletzt gehe ich nochmals zur Rezeption zurück, suche jemanden, der mir helfen kann. Schliesslich kommt die Wirtin mit mir mit – zum Nachbarshaus, weiss mit grüner Tür! Wo hatte ich bloss meine Augen? Ich schaue nicht lange, gehe zurück zu Christoph und parke das Auto auf den vorhandenen Behindertenparkplatz. Rollstuhl und Koffer ausladen geht gut, aber da ist noch der SwissTrac, den wir dringend brauchen, damit Christoph sich beim Aufstehen festhalten kann. 65 kg überfordern mich definitiv. Inzwischen vertraue ich auf unser Glück, auf meinen Charme und auf die Hilfsbereitschaft der Schweden. Und tatsächlich: ein ziemlich fülliger junger Mann mit seiner Frau spaziert an uns vorbei. Schnell spreche ich ihn an:«Sorry! Are you a strong man? Could you help me, please?» Er ist sofort neben mir, will die Koffer packen. Ich zeige ihm den SwissTrac und mache die Gewichstsangabe.«No problem», meint er, dreht den SwissTrac, packt zu und schwups steht das blaue Schwergewicht neben dem Auto. Stolz schaut mich der «strong man» an. Wir bedanken uns herzlich und machen uns auf zur Zimmerinspektion.

Christoph fährt die Rampe hoch und wir kommen in einen Vorraum. Ein altes Holzsofa mit Kissen steht am Eingang, die Wände sind mit einer Tapete mit grünem Blättermuster und grossen weissen Blüten versehen, der Flur ist etwas schummrig beleuchtet. Die Spannung steigt. Was erwartet uns wohl hinter der Zimmertür Nr. 27? Ich öffne die Tür und bleibe abrupt unter der Türe stehen. Das gibt’s doch nicht!

Ich fühle mich in eine andere Welt versetzt, in eine Welt, wie ich sie aus alten Bilderbücher meiner Grossmutter kenne. Die Wände sind bis auf halbe Höhe mit grünem Holztäfer eingefasst und darüber auch tapeziert, diesmal mit grünen Blätterranken. An der Wand hängen zwei Ölbilder, eines davon etwas schief. Darunter das Doppelbett, mit einer dunkelgrünen Samtdecke und grünen und gelben mit goldenen Stickereien verzierten Kissen. Rechts und links vom Bett stehen zwei filigrane Messingtischchen, oberhalb der Betten sind Messinglampen im Vintage-Stil angebracht. Eine goldene Uhr aus Grossvaters Zeiten hängt an der Wand, ein goldgerahmter Spiegel und ein goldener Garderobehalter mit Häschenbüste schliessen die Wanddekoration ab. Dann steht da noch ein antiker Schreibtisch aus Holz mit passendem Stuhl an der Wand, die verifizierte Einladung für solche Schreiberlinge, wie wir es sind. Die Beleuchtung gibt dem Zimmer mit ihrem warmen Licht eine märchenhafte Atmosphäre. Und so fühle ich mich auch: wie im Märchen.

Christoph weckt mich aus meiner Verzückung und fragt nach der Badezimmerausstattung. Ich öffne die Türe und stehe in einer grünen Badeoase: dunkelgrüne Kacheln an den Wänden, weisser Marmorboden. Die Armaturen sind aus dem letzten Jahrhundert und in goldenem Messing. Das einzig Moderne ist die gläserne Duschwand und das Klo. Platz genug für einen Rollstuhlfahrer ist da und das WC ist mit mobilen Haltegriffen versehen.

Wir sind in einem rollstuhltauglichen Paradies angekommen.

Wer hilft einen in Malmö? Schweizer!

(Bild aus dem Archiv – Toronto 2018)

Nachdem die Anfangsschwierigkeiten überwunden waren, ging es ans Erkunden von Kopenhagen. Die Stadt ist für Rollstuhlfahrer gut zugänglich, mal abgesehen von vielen Restaurants, deren Inneres für mich nicht erreichbar ist. Die kühlen Temperaturen laden nicht wirklich zum Essen draussen ein. Hungrig bleiben wir trotzdem nicht. Im Gegenteil: ein Côte de boeuf fordert uns.

Einmal mehr erlebe ich die Dänen als freundliche und hilfsbereite Menschen. Schnell sind sie zur Stelle, wenn ich den Eindruck von Hilflosigkeit vermittle. Die, die einige Rücksichtslosigkeit an den Tag legen, sind zumeist Touristen. Sind sie zudem kurzbeinigen Schrittes, dann macht es keinen Unterschied, ob man in Kopenhagen oder Luzern ist.

Die Zugfahrt von Kopenhagen nach Malmö machen wir meiner Sorglosigkeit wegen ohne Voranmeldung. Für die rund 40 Minuten dauernde Fahrt über die Ostersund-Brücke nehmen wir die S-Bahn, die uns schon von der Fahrt vom Flughafen in die Stadt bekannt war. Ich staune nicht schlecht, als ich realisiere, dass ich nicht aus dem Zug hätte steigen können, wäre es das gleiche Perron gewesen. Nun ist der Höhenunterschied rund 20 Zentimeter. Die Zugbegleiterin ist aber schnell mit einer faltbaren Rampe bei mir und sorgt resolut dafür, dass ich den für Rollstuhlfahrer reservierten Platz erreiche.

Wie so oft auf den vergangenen Reisen, sorgt der Swiss Trac (Rollstuhlzuggerät) auch diesmal für erstaunte Blicke. Unzählige Male werde ich angesprochen, wenn ich mit Veras Koffer auf dem Swiss Trac und meinem am Rollstuhl befestigten Koffer über die Gehsteige brettere. Da ich der dänischen Sprache nicht mächtig bin, kann ich den Inhalt der Äusserungen nur vermuten.

In Malmö angekommen, gehen wir zur Autovermietung und übernehmen unser Fahrzeug, ein Audi A6. Nach meiner unmissverständlichen Kampfansage nach dem Hoteldesaster in Kopenhagen hat sich das Reisebüro nochmals erkundigt, ob auch das gewünschte Auto zur Verfügung stehe. Das tat es dann auch.

Nach einem gemütlichen Stadtbummel und einem dekadent üppigen Nachtessen steht uns die grösste Herausforderung noch bevor: der Swiss Trac, 65 kg schwer, musste noch ins Auto. Und das ohne Rampe, da es in der Innenstadt von Malmö keine Holzlatten zu kaufen gab. Was tun? Im sechsten Stock eines verwaisten Parkhauses auf ein Wunder hoffen?

Wir hören den Lärm eines Automotors, der immer näher kommt. Ist das das Wunder? Aus dem Auto steigt ein junger Mann. Vera steuert ihn direkt an und fragt «if he could help us». Dieser antwortet ebenfalls auf Englisch und verspricht uns Hilfe. Das weitere Gespräch wird dann in einer anderen Sprache geführt: schweizerdeutsch.

Hilfsbereite Menschen werden uns weiter helfen, sind wir überzeugt. Unsere Reise ist ein Abenteuer. Es wird gut kommen.

More to come. Stay tuned!

Kopenhagen vom Schiff aus

Um eine Stadt in möglichst kurzer Zeit zu entdecken und mit Informationen zu ihrer Geschichte und Kultur eingedeckt zu werden, gibt es zwei Möglichkeiten: Hop-on, hop-off im Bus oder in Städten mit Flüssen oder Kanälen eine Stadtrundfahrt per Schiff. Da Kopenhagen, ähnlich wie Amsterdam, mit Kanälen durchzogen ist, habe ich schnell entschieden. Eine Schifffahrt muss es sein. Leider sind die Schiffe für Rollstuhlfahrer wie Christoph nicht zugänglich. Sie liegen flach im Wasser, damit sie unter den niedrigen Brücken durchkommen, sind fest bestuhlt, so dass für einen Rollstuhl kein Zugang und kein Platz ist. Christoph hat eine solche Schiffsrundfahrt zum Glück schon vor zehn Jahren gemacht, als er noch ohne Rollstuhl unterwegs war. So ist mein schlechtes Gewissen beruhigt. Vor allem da Christoph den Plan verfolgt, den Crêpes-Stand von vor zehn Jahren zu suchen und sich eine seiner heiss geliebten Crêpes zu gönnen. Bananen-Nutella müsste es sein, genau so wie vor zehn Jahren. Ob er wohl fündig wird? Ich habe da so meine Zweifel!

Ich drängle mich durch die Menschenmassen im Nyhaven, stehe für mein Ticket an und steige schliesslich in das flache Schiff, von wo aus man das Wasser leicht berühren könnte. Pünktlich um 14.15 Uhr legt der Kapitän ab. Der Reiseführer warnt uns vor den niedrigen Brücken, die seien hart und würden unseren Köpfen nicht gut bekommen. Auch sollen wir nicht mit den Fingern die Decken der Brücken berühren. Diese seien sehr schmutzig und klebrig und die Brückenmauern seien immer stärker als unsere Finger … Schon fahren wir unter der ersten Brücke durch, instinktiv zieht man den Kopf ein, obschon ca. 20 cm Platz zwischen Brückenbogen und Kopf bleibt. Aber nach dieser Vorwarnung sind alle Passagiere vorsichtig.

Wir verlassen den Nyhaven und fahren in die Meeresbucht hinaus, vorbei an der modernen Oper. Sie hat ein flaches Dach, das ans KKL in Luzern erinnert. Von diesem Dach springen im Sommer waghalsige Jugendliche ins Meer. «Just for fun», wie der Führer erzählt. Wir fahren weiter raus, die früheren Kasernen der Königlichen Armee ziehen vorbei, weiter hinten sieht man einen hohen Kamin neben einem modernen, abgeschrägten Bau. Das sei die Abfallverbrennungsanlage, die gleichzeitig ein Freizeitzentrum fürs Fassadenklettern und fürs Skifahren während des ganzen Jahres sei. Erstaunlich, wie die Dänen es schaffen, das Nützliche mit dem Vergnügen zu verbinden.

Wir nähern uns dem anderen Ufer der Bucht und eine Menschenansammlung wird sichtbar. Was da wohl zu sehen ist? Wohin pilgern alle, die nach Kopenhagen kommen? Richtig, zu der kleinen Meerjungfrau. Klein wirkt sie wirklich, wie sie auf einem Felsen im Wasser unweit des Ufers sitzt. Gerade weit genug, damit sich nicht alle trauen zu ihr auf den Felsen zu klettern, sie aber doch fotografieren können. Eigentlich wollte ich diese Statue auch besuchen. Doch jetzt, da ich die Menschenmenge sehe, begnüge ich mich mit der berühmten Rückenansicht. Irgendwie tut mir diese Kunstwerk fast leid. Die kleine Meerjungfrau wurde 1921 erschaffen, Modell standen die Geschichte von Hans Christian Anderson und eine Balletttänzerin. In den folgenden Jahrzehnten wurde die Jungfrau zweimal geköpft und ein Stück aus ihrem Arm entfernt. In der Stadt findet man Ansichtskarten mit ihr als Sujet vor kitschigen Sonnenuntergängen oder zwischen überdimensionierten Schwänen. Ich für mich verstehe nur zu gut, weshalb die kleine Meerjungfrau so betrübt und wehmütig ans Ufer mit den fotografierenden und betatschenden Touristen schaut.

Weiter geht die Fahrt an den königlichen Palästen vorbei, durch ein holländisches Quartier, das von den Holländern zur Zeit des Seehandels mit Indien erbaut wurde. Fährt man durch diesen Kanal, wähnt man sich einmal mehr in Amsterdam. Zum Schluss fährt unser Schiff vor dem riesigen Glasbau der Staatsbibliothek durch, sie sei europaweit die grösste Bibliothek. Dann ist da noch das alte Haus, in dem die Familien der königlichen Soldaten im Mittelalter gratis hochgradigen Alkohol beziehen konnten. Damit sollten die Familien, auch die Kinder, vor den Colibakterien und vor Cholera geschützt werden. Ob wohl deshalb der Alkohol in Dänemark heutzutage so teuer ist? Um dem übermässigen Desinfektionsbedürfnis entgegenzuwirken? Darüber hat uns der Führer nichts erzählt.

Die Fahrt endet wieder im berühmten Nyhaven. Den Nachmittag verbringen wir im «Holländischen Quartier», das durch grosszügige Promenaden, ruhige Strassen und architektonische Vielfalt besticht. Über eine der vielen Velobrücken gehen wir zurück zum Hotel, voll neuer Eindrücke und mit dem Wissen, dass Kopenhagen viel und noch viel mehr zu bieten hat.

More to come. Stay tuned!

Ich bin verärgert!!!

(Fortsetzung von «Heute wird nicht viel passieren»)

Das war der erste Satz in meiner E-Mail an unser Reisebüro in der Schweiz, die ich morgens um 2 Uhr in mein iPhone tippte. Ich brauchte klare Worte und stellte meine Forderung unmissverständlich. Ich wäre vermutlich nicht so hart in meiner Wortwahl gewesen, hätte ich nicht drei Wochen vor der Reise extra und ausdrücklich nochmals beim Reisebüro betreffend rollstuhlgerechten Unterkünften nachgefragt und bestätigt bekommen, dass die Vor-Ort-Agentur dies versicherte.

Am Morgen meldete sich das Schweizer Reisebüro und entschuldigte sich erstmal und stellte eine Lösung in Aussicht. Beim Frühstück haben Vera und ich dann von einem Hotelmanager erfahren, dass das ganze Hotel weder über Zimmer für Rollstuhlfahrer verfügte noch eine rollstuhlgängige Toilette hätte. Der nächste Anruf aus der Schweiz brachte mein Blut in Wallung, die Ferienstimmung auf den Nullpunkt und mein Kampfwillen in Höchstform. Ich soll mir ein Restaurant mit einer Rollstuhltoilette suchen, das Reisebüro würde gegen Quittung das Frühstück erstatten und sie hätten ein Hotel mit einem teilweise rollstuhlgerechten Zimmer. Die eigentlichen Rollstuhlzimmer seien leider alle besetzt, da gerade eine Gruppe Rollstuhlfahrer eingecheckt hätte.

Hä?!

Einmal mehr war ich froh um meine Schlagfertigkeit und meinen Durchsetzungswillen. Mich mit dieser Lösung abspeisen zu lassen, kam für mich nicht in Frage. Ich hatte schon von Anfang ab bei den Verhandlungen fürs Angebot davon gesprochen, der Preis spiele eine untergeordnete Rolle. Für mich als tetraplegischer Rollstuhlfahrer muss es machbar sein.

Wir hatten das Frühstück inzwischen durch und harrten der Dinge, die kommen sollten. Um 11.32 Uhr war es soweit, am Telefon wurde mir eine neue Unterkunft angegeben. Eineinhalb Stunden später waren wir dort und durften zufrieden zur Kenntnis nehmen, dass unsere Bedürfnisse nun erfüllt sind. Die Ferien konnten mit Verspätung beginnen.

More to come. Stay tuned!

Dänemark und Kopenhagen

Dänemark begrüsst uns mit einer orange glühenden Sonne, die im Wolkenmeer versinkt. Unter unserem Flugzeug wechseln Meeresarme und -buchten mit Inseln ab. Erinnerungen an «Ferien auf Saltkrokan» werden wach, ein Kinderbuch aus vergangenen Zeiten. Eine grosse Insel beeindruckt mich besonders. Sie scheint sich kaum aus dem Meer zu erheben und ich stelle mir vor, was mit der Insel geschähe, wenn der Meeresspiegel um einige Zentimeter steigen würde.

Der Anflug auf Kopenhagen lässt das Meer immer näher kommen, Schaumkronen sind zu erkennen und es scheint, als würden wir im Meer landen. Doch nein, wir landen wohlbehalten in Kopenhagen. Was dann folgt, hat Christoph bereits beschrieben.

Am nächsten Mittag, Mittwoch, sind wir startbereit, um die Stadt zu entdecken. Wir sind uns einig über die Art unserer Entdeckungsreise. Christoph hat noch einige Erinnerungen von vor zehn Jahren, für mich ist Kopenhagen unbekannt. Kurze Orientierung auf dem Stadtplan. Wir nehmen uns zwei Ziele vor: den Nyhaven mit den bunten Häusern und die Einkaufsmeile im Stadtzentrum. Sonst lassen wir uns von unserer Neugierde treiben. Unser Weg führt uns einem Kanal entlang über eine breite Promenade. Wir sind wieder zu dritt unterwegs, doch ist der dritte im Bunde nicht mehr Mr. Er., der treue Begleiter von Christoph. Mr. Ed ist Ende 2019 in Pension gegangen und wird nun von einem jüngeren und moderneren Kollegen vertreten. In unseren Herzen und Gedanken ist aber Mr. Ed immer noch mit uns unterwegs. Seine Abenteuerlust bleibt unvergessen, umso mehr, da sein Nachfolger meist brav und in geordneten Bahnen hinter dem SwissTrac herfährt. Einen Namen hat der neue Begleiter von Christoph noch keinen. Vielleicht finden wir einen unterwegs oder vielleicht hat jemand von euch Lesenden eine Idee, wie wir Christophs Rollstuhl nennen könnten. Wir sind offen für eure Vorschläge und dem Gewinner winkt ein Foto- und Textbuch von unserer Kopenhagen-Südschwedenreise.

Doch nun zurück nach Kopenhagen mit Mr. Eds Nachfolger. Wir staunen über die Vielfältigkeit der Architektur: neben Häusern aus dem 17. Jahrhundert stehen modernste Glasgebäude, dann wieder Jugendstilhäuser oder alte Lagerhäuser, die geschickt zu Wohnhäuser umgebaut wurden.

Die Überraschung an diesem Nachmittag ist ein plötzlicher Wolkenbruch, der ohne Ankündigung auf uns niederprasselt. Wir suchen Schutz unter kaum vorhandenen Vordächern, ziehen im stürmischen Wetter den Regenschutz an. Zum Glück hört der Regen so schnell auf, wie er gekommen ist und wir können uns in der wärmenden Sonne trocknen lassen.

Wir steuern durch die enge Strasse im Nyhaven, Vorwärtskommen ist fast unmöglich. Menschenmassen wälzen sich durch die enge Strasse, die von Kneipen und Gourmet-Tempeln gesäumt wird. Die Häuser sind pittoresk, doch schaut man sie sich besser von weitem auf einer Brücke an. Wir sind froh, als wir dem Getümmel entkommen. Die Strassen werden breiter und eine farbige Seitenstrasse lockt mich und uns in Richtung Innenstadt. Bald erreichen wir die Fussgängerzone, mein Gefühl hat mich richtig geleitet. Wir treffen auf neue Menschenmassen, doch ist es hier für uns etwas einfacher vorwärts zu kommen, da die Strassen breit und die Plätze gross sind. Auch hier ist die Architektur ganz unterschiedlich, einmal muten die Häuserreihen grossstädtisch an, manchmal sind es einfache «Arbeiterhäuser» die die Strassen säumen. Alle haben aber etwas gemeinsam: im Untergeschoss sind sie für Touristen eingerichtet. Läden mit allem, was das Herz begehrt, bekannte Marken, Imbissbuden mit den sagenhaften Würstchen, die wir vom Flughafen kennen, oder Restaurants, die Moules, Hamburger, Pizzas oder Shrimps anbieten. Wir begnügen uns mit einer fruchtigen Limonade und dem Beobachten der vielen unterschiedlichen Menschen. Einige Menschen fallen uns besonders auf. Ich stelle unsere Glasflaschen in einen Abfallkübel und drehe mich ab, um ein Foto zu schiessen. In dieser Zeit kommt schon ein Randständiger mit seiner grossen Plastiktüte vorbei und sammelt die Flaschen und die sonstigen Blechbüchsen oder PET-Flaschen ein. Eine Möglichkeit für ihn und seine Kollegen zu ein wenig Geld zu kommen, in dem sie die gesammelte Ware zu den Sammelstellen bringen und das Depot dafür ausbezahlt bekommen. Einmal mehr wird uns das grosse soziale Gefälle einer Grossstadt deutlich vor Augen geführt.

Wir beschliessen, auf einem neuen Weg zurück zum Hotel zu gehen. Essen in einem Lokal mit einem Rollstuhlfahrer ist hier im Zentrum aussichtslos. Die meisten Lokale sind im Kellergeschoss und nur über Treppen erreichbar. Wir gehen, wie so oft in Kopenhagen, einem Kanal entlang, vorbei an alten Häusern, in denen früher Fisch verkauft wurde, am Nationalmuseum, das um diese Zeit schon geschlossen hat, an den Ställen des königlichen Gestüts vorbei und schliesslich am Museum für Architektur entlang, das unser Regenprogramm für morgen wäre. Müde, voller Eindrücke und zufrieden lassen wir uns am Abend von der recht deftigen, oft salzigen dänischen Küche verwöhnen.

Heute wird nicht viel passieren …

Wir hatten den Check-in durch, bei der Security eine Bekannte getroffen und uns in einem Restaurant mehr schlecht als recht für den Flug gestärkt. Rechtzeitig am per SMS gemeldeten Gate eingetroffen, suchen wir nach der Anzeige für unseren Flug LX1272 nach Kopenhagen. Geplante Abflugszeit um 17.25 Uhr. Aber am Boardingdesk A82 ist ein Swiss-Flug nach Berlin angezeigt. Von unserem Flug ist nichts zu sehen. Die Übersichtstafel mit den nächsten Abflügen informiert, dass wir im 17.25 Uhr informiert werden würden.

Heutzutage ist es einfach, im Internet zu sehen, wo ein Flugzeug gerade fliegt. Wobei «fliegen» in unserem Fall den aktuellen Stand nicht korrekt wiedergibt: Unser Flugzeug, die airBaltic-Maschine yl-abn steht noch in Paris, wo sie als Flug LX639 auf ihren Flug nach Zürich vorbereitet wird. Um 15.05 Uhr hätte sie in Paris abheben sollen. Um 17.24 Uhr startete sie schlussendlich in Frankreich. 75 Minuten Flugzeit, Landung wohl erst gegen 18.45 Uhr.

Ich denke mir: Schade, ich hätte gerne wieder den Sonnenuntergang beim Anflug auf Kopenhagen gesehen. Ich blicke zu Vera und sage ihr, dass ich so wenigstens schon ein Thema für den ersten Blog-Beitrag hätte. Sie sieht mich mit verwunderten Augen an und meint, dass das wohl nicht genügend Stoff geben würde. Vielleicht hat sie ja recht, geht mir durch den Kopf, und trotzdem bin ich überzeugt, dass unsere Anreise mehr als genug Material geben wird. Wie recht ich damit hatte, zeigte sich sehr bald.

Die Maschine aus Paris war superschnell in Zürich und bereits um 19 Uhr begann das Boarding für unseren Flug. Wie immer werden Vera und ich als erste ins Flugzeug gelassen. Für mich braucht es immer zwei Personen, die mich auf den Sitz, diesmal 23C in einem Airbus A220-300, platzieren. Eine Viertelstunde später haben alle Passagiere ihren Platz gefunden und ihr Handgepäck verstaut. Und dann beginnt das grosse Warten. Der Captain meldet sich und informiert, dass noch nicht alles Gepäck verladen sei … Die tatsächliche Abflugzeit war dann um 20.08 Uhr, in Kopenhagen gelandet sind wir um 21.30 Uhr. Und damit wir ja nicht zu schnell im Hotel sind, durften wir den Flieger auf einem Aussenstandplatz verlassen.

Für Vera und mich hiess das lange warten bis wir beide die letzten an Bord waren und zwei Personen mich wieder aus dem Sitz hievten, mich auf einem Flugzeug-Rollstuhl aus dem Flugzeug transportierten und mich in einem Hublastwagen auf meinen Rollstuhl setzten. Dann eine Fahrt mit 20 km/h über den halben Flughafen zu einem weiteren Fahrzeug, dass die andere Hälfte des Flughafens abfuhr. Dann endlich Gepäcksuche und die Hoffnung, alles Gepäck sei mit uns geflogen. Die Hoffnung deshalb, weil ich eine SMS bin Swiss erhielt, dass nicht alles Gepäck von mir an Bord war.

Zum Glück war die Nachricht aber eine Falschmeldung. Zwei Koffer, ein Rollstuhl und mein Zuggerät waren in Dänemark angekommen. Freude herrschte und ebenso Vorfreude auf das Bett. Noch kurz eine kleine Verpflegung am Flughafen – ein schrecklich «grusiges» und fettiges Würstchen in einem «tangigen» Brötchen mit Zwiebeln und Senf, der einem das Wasser in die Augen schiessen liess. Dann die Suche nach der Metro M2 in die unmittelbare Nähe des Hotels. Aber die Metro fuhr nicht. Ein freundlicher Herr sagte uns an der Metro-Schranke, wie sollen anstelle des Ersatzbusses den Zug nehmen. Das ginge einfacher. Also ab auf die Suche nach dem Bahnsteig.

Nach einem viertelstündigen Warten, einer viertelstündigen Fahrt und einem viertelstündigen Weg ins Hotel besichtigten wir kurz nach Mitternacht unser Hotelzimmer und mussten zur Kenntnis nehmen, dass das Zimmer überhaupt nicht rollstuhlgängig war. Ich konnte nicht einmal meine Hände waschen, geschweige denn die Toilette benutzen. Es war genau das, was man sich um diese Uhrzeit und einer Anreisedauer von mehr als zwölf Stunden wünscht. Ein guter Start in die Ferien. Willkommen Erholung!

Wie es weitergeht?

Stay tuned!