Höllenritt auf und mit Mr. Ed

Er ist gutmütig, geduldig und hilfsbereit, Mr. Ed. Zuweilen kann er sich auch von einer störrischen und belehrenden Seite zeigen. Und wenn man seine Warnungen nicht ernst nimmt, dann droht er schon mal mit einem unfreiwilligen Bad. Es war in Victoria, dem letzten Ausflugsziel auf der Alaska-Kreuzfahrt.

Mr. Ed und ich waren nach einer Stadtrundfahrt im Bus beim Empress-Hotel ausgestiegen und wollten die Stadt auf eigene Faust und eigenen Rädern erkunden. Victoria war mir nicht unbekannt, besuchte ich diese Stadt bereits einmal 2001. Damals war es nur ein Kurzabstecher, wir kamen gegen Abend mit der Fähre von Port Angeles her, assen ein Lachs mit Reis und legten uns früh schlafen. Bereits am nächsten Tag führte unser Weg über die Butchart Gardens weiter nach Vancouver. Diesmal hatte ich genügend Zeit, die Stadt zu besichtigen. Gut möglich, dass ich 2001 durch die Stadt gehetzt wäre, um möglichst viel zu sehen und irgendwie doch nichts zu sehen. Mit Mr. Ed ist das nun komplett anders. Einmal, weil ich immer einen Stuhl dabei habe und einfach die Umgebung studieren kann, und andermal, weil ich alles aus der Perspektive eines Kindes sehe (wegen der Augenhöhe) und sich völlig andere Sichten öffnen. Dass ich heute architektonisch interessiert bin, ist in einem mehrstündigen Gespräch mit einem Architekten begründet. Er erklärte mir, dass die Architektur nicht einfach dazu da ist, Wohnbehältnisse zu schaffen. Vielmehr geht es darum, auch einfache Bauten mit dem Spiel von Formen, Farben und Licht zu etwas Besonderen werden zu lassen. Und so sehe ich heute sehr viel in und an Gebäuden.

Aber nun wieder zurück zur Geschichte mit Mr. Ed. Unser Zusammenspiel wird immer übermütiger. Inzwischen tanzen wir auch mal auf einem Parkett zu guter Musik und lassen es zwischendurch auch krachen, wenn wir auf einer Rampe oder abfallenden Strasse so richtig Gas geben. Da kann uns jeweils nur die Motorbremse zurückhalten, nicht wie ein Skirennfahrer den Berg hinabzurasen. Und so fuhren wir dem alten Hafen entlang, mal eine Rampe hinauf und auf der anderen Seite wieder hinab. Auch in Kanada sind sie super eingerichtet für Rollstuhlfahrer. Die Rampen sind bestens beschildert und mit einem Gefälle, das leicht zu bewältigen ist. Überzeugt, dass wir überall so gut durchkommen, liessen wir uns auch von einer steilen Rampe zur Schwimminsel Fisherman’s Wharf in Victoria nicht abhalten. Es sah schon etwas steil aus, und es stellte sich die Frage, ob ich am Schluss nicht Mr. Ed hinaufstossen muss. Da ich noch zu Fuss unterwegs sein kann, wäre es vielleicht gegangen. Obwohl: Mr. Ed wiegt knapp 32 Kilogramm. Also eintauchen in die kleine Fisherman’s Wharf-Welt und geniessen. Hier ein paar nette Worte, da ein Lächeln und dort aufmunternde Worte. Ja und dann war es soweit. Am Ende der Insel war die Rampe zu steil. Die Ebbe hatte in der Zwischenzeit noch zugenommen. Schon wollte ich aus dem Rollstuhl aussteigen, kam ein Alt-Hippie und fragte: Hey guy, you need help? I push you up. Sekunden später hat der feste Boden mich wieder. Ein Bier wollte er sich von mir für die Hilfe nicht bezahlen lassen. Hey I’m a Canadien. We are like this.

Und weiter ging’s gestärkt mit der Erfahrung, hier kann dir nichts passieren. So sah ich auch nicht weiter ein Problem, dem Harborweg zum Schiff zurückzufolgen. Ja und dann passierte es in meinem Übermut. Ich wollte unbedingt dem wassernahen Weg folgen, der aber für ein kurzes Stück steil abfallend und uneben war. Zudem war wegen Sand etwas rutschig. Ich dachte mir, wenn ich ganz langsam und vorsichtig fahre, dann passiert schon nichts. Mein Übermut und die fehlende Erfahrung waren Basis für eben eine Erfahrung. Schon ganz früh zeigte sich Mr. Ed störrisch. Erst lenkte er mich neben den Weg und dann verbündete er sich mit der Fernbedienung. Auf einmal war da kein Strom mehr auf dem Motor, so dass ich leicht hätte bremsen können. Aber es ging nochmal gut. Aber ich war nun schon auf halbem Weg. Zurück wollte ich nicht. Also vorsichtig weiter. Mr. Ed hatte mich gewarnt. Ich wollte nicht auf ihn hören. Ich spürte, wie die Räder teilweise in der Luft waren. Mit meiner Gewichtsverlagerung verschlimmerte ich die Situation weiter, weil nun das Gewicht auf den unsteuerbaren kleinen Vorderrädern lag und Mr. Ed nun zügellos vom Weg abkam und auf die Quaimauer zusteuerte. Nur noch wenige Meter trennte mich und Mr. Ed vor einem Wasserbad. Mr. Ed warf mich ab. Mit einem Zwischenschritt schaffte ich es, nicht auf den Boden zu knallen. Ja und dann.,,
… dann hing ich wahrsten Sinn des Ausdrucks in den Seilen. Hier in Form einer dicken Eisenkette. Uuuuuh, Glück gehabt! Das hätte anders ausgehen können, zumal die Quaimauer wegen der Ebbe etwa zwei Meter aus dem Wasser ragte. Mr. Ed liess sich nicht verlauten. Er wird sich wohl gedacht haben, wenn der meint, meine Warnungen in den Wind schlagen zu müssen, dann soll er gefälligst seine Erfahrungen selber machen. Recht hat er. Und darum lieber Mr. Ed, Danke, dass es dich gibt!