Abschiedstour

Unser letzter Tag in San Francisco ist angebrochen. Wir wollen unseren Besuch mit einer Küstenbootsfahrt abschliessen. Gesagt, getan: wir heuern auf einem rot-weissen Boot an und ziehen uns aufs Hinterdeck zurück. Hier haben wir viel Platz für uns alleine und eine tolle Rundumsicht. Per Kopfhörer erfahren wir mehr über die Geschichte von San Francisco und der Bucht. Besiedelt war sie ursprünglich von Indianern, entdeckt wurde sie zufällig, als sich ein spanisches Entdeckerboot losriss und durch den Eingang, den Golden Gate, hindurch in die Bucht getrieben wurde. Vorher war der Durchgang durch die Wälder und den Nebel verborgen geblieben. Ab da gab es aber kein Halten mehr, das Goldfieber griff um sich, die Bucht wurde von Goldgräbern und Spaniern erobert und besiedelt, die Indianer verjagt. 

Ein sehr einschneidendes Ereignis war das starke Erdbeben von 1906. Ganze Quartiere fielen zusammen und eine grosse Feuersbrunst weitete sich rasend schnell aus. Die Menschen lebten in Zelten bis ihre Häuser wieder aufgebaut waren. 1989 bebte die Erde erneut, zum Glück nicht so stark wie 1906. Doch auch damals mussten die Menschen wieder in Zelten wohnen bis ihre Häuser erneut aufgebaut waren.

Der Golden Gate wurde strategisch und militärisch zu einem wichtigen Ort. Davon zeugt noch eine Festung auf der einen Seite. Joseph B. Strauss hatte 1932 die geniale Idee, einer Hängebrücke über den Eingang zur Bucht, den Golden Gate, zu bauen. Von 1933 bis 1937 dauerte die Bauzeit der 2737m langen Brücke. Im Mai 1937 wurde sie eingeweiht. Ihre Farbe erhielt sie dank der Bevölkerung. Die orange Farbe war als Grundierung gegen Rost und Erosion gedacht. Doch bevor mit dem grauen Endanstrich begonnen werden konnte, wehrte sich die Bevölkerung dagegen. Das Orange gefiel zu gut und so beschloss der Architekt, die Farbe zu belassen, zumal sie sich gut in die Umgebung einpasste. So wird noch heute täglich die Brücke orange angestrichen: 60 Tage dauert ein Gesamtanstrich und wenn dieser fertig ist, beginnen die Maler wieder von vorne, immer mit der gleichen orangen Farbe, wohl gemerkt.

Wie die letzten Tage auch, verschleiert sich Lady Bridge hinter Nebel, nicht mehr vollständig zwar, aber nur gerade soviel, dass ich ihre wahre Grösse und Schönheit in etwa erahnen kann.  

Das Schiff kehrt unter der Brücke und fährt Richtung Alcatraz, der berüchtigten Gefängnisinsel.  Noch heute schwebt eine unheimliche Stimmung über den Gebäuden und Wassertürmen auf der Insel. Die Gefangenen wurden per Schiff hierher gebracht und in enge Zellen gesperrt. Sie hatten kaum Kontakt zu den anderen Insassen oder zu den Wärtern, durften bei guter Führung eine Stunde am Tag im Hof an die frische Luft, und die Besuchszeit der Angehörigen beschränkte sich auf zwei Stunden im Monat. Mit drei Lügen wurden die Gefangenen von Fluchtgedanken abgehalten: 

  1. Das Wasser in der Bucht sei so eisig kalt, dass man darin sofort erfrieren würde. Stimmt nicht! Das Wasser ist im Durchschnitt 13 Grad warm.
  2. Die Distanz zum Festland sei zu weit, das würde keiner schaffen. Stimmt nicht! Schwimmend erreicht man die Bucht in 45 Min.
  3. In der Bucht wimmle es von Haien, die Schwimmer angreifen würden. Stimmt nicht! Es gibt zwar viele Haie, doch von solcher Art, die für Menschen harmlos sind.

Nun fährt unser Schiff der Küste entlang und wir können nochmals die Stadtansicht vom Wasser her bestaunen. Die Vielfältigkeit San Franciscos spiegelt sich in ihrer Skyline. Der Financial District mit den gigantischen Hochhäusern, die nach neusten Erkenntnissen erdbebensicher konstruiert sind, die schicken Villen des Nobs, die einfacheren Häuser des North Beach und die vielen Piers der Fisherman‘s Whaf.

Das Schiff dreht unter der Oakland Bay Bridge, auch sie ist eine Hängebrücke. Die Bewohner dieser Seite der Bucht wollten eine der Golden Gate Bridge ebenbürtige Brücke. Sie ist in der Konstruktion ähnlich, besteht aus zwei doppelstöckigen Hängebrücken, ist grau angestrichen und wurde 1936 eröffnet. Im Laufe der Jahre wurde sie mehrmals erneuert und umgebaut (1959, nach dem Erdbeben von 1989, 2013). Eine weitere Attraktion wurde der Brücke 2013 hinzugefügt: ein Lichtspiel von über 25‘000 LED-Lämpchen erleuchtet die Brücke jede Nacht in einem andern Muster.

Der Rest unserer Rundfahrt führt der Küste San Franciscos entlang und bietet uns die Möglichkeit, uns von dieser eindrücklichen Stadt zu verabschieden. 

Zu Fuss durch San Francisco

Um das Pulsieren einer Stadt zu erleben, besichtige ich sie gerne zu Fuss. Ausgangspunkt ist in San Francisco der Union Square, das Quartier mit vielen teuren Geschäften. Um von unserem Hotel dorthin zu gelangen, muss man einige steile Hügel bewältigen. Mr. Ed und Christoph nehmen den Weg unter die Räder. Ich lasse mich von einem Cable Car zum vereinbarte Treffpunkt fahren. Cable Cars (Kabelstrassenbahnen) wurden 1873 entwickelt. Die Legende erzählt, dass damals die Wagons von Pferden gezogen wurden. An einem Regentag rutschten die Pferde auf der steilen Strasse aus und wurden vom Wagon elendiglich die Strasse hinunter geschleift. Cable Cars sind kleine Wagons, die wie bei uns die Seilbahnen an einem Seil bergauf gezogen werden. Das Besondere ist, dass das Seil zwischen den Schienen im Boden verläuft. Der Wagenführer bedient im Inneren des Wagens drei Hebel und ein Pedal. Einen Hebel, um den Wagen mit dem Seil zu verbinden, einen Hebel um Antrieb zu geben und das Pedal und der dritte Hebel, um zu bremsen. Ein spannendes Schauspiel, das sich mir während der Fahrt bietet. Bergauf fährt der Wagen schon recht schnell, bergab hat man das Gefühl, man fliege, und ich hoffe jedesmal, dass die Bremsen funktionieren. Doch der Fahrer ist ein grossgewachsener, kräftiger Schwarzer, der die Hebel wie ein Puppenspieler die Fäden einer Marionette bedient, mühelos und sehr gekonnt. So komme ich heil und munter am Union Square an und treffe bald auf Mr. Ed und Christoph, die sich tapfer mit dem SwissTrac über die Hügel gekämpft haben.

Wir machen es uns auf dem Hauptplatz des Union Squares gemütlich, essen Panini und ein Gelato, von Hochhäusern umrahmt und widmen uns unserem Blog.

Bald sind wir soweit, dass wir den Rückweg antreten können. Diesmal geht’s gemeinsam durch Chinatown, die eine der grössten chinesischen Gemeinschaften in Amerika ist. Wir kommen an vielen Geschäften vorbei, die mit Andenken und chinesischen Kleidern vollgestopft sind, darauf angelegt, dass hier Touristen vorbei spazieren. Die Strassen sind mit roten Lampions geschmückt, die Häuser zum Teil bemalt oder mit den typischen chinesischen Drachenköpfen an der Dachrinne geschmückt. Die Verkäufer sind durchwegs Asiaten, die Menschen auf der Strasse scheinen aus aller Welt zu kommen.

Das nächste Quartier gefällt mir besser. Wir spazieren durch den North Beach. Hier sind die Strassenlampen am Pfosten mit den italienischen Farben bemalt. Wir gehen an kleinen Bars vorbei, an Handwerksstätten, Schuhmachereien, Pizzerien. Es fühlt sich wie in einem italienischen Viertel an. Draussen vor dem Caffè Trieste sitzen Männer neben ihren Motorrädern, einer sitzt im Hauseingang und spielt auf seiner Mandoline.

Wir wagen uns eine sehr steile Strasse hinauf, die Charrière in Ligerz ist fast so steil, und hoffen auf einen Ausblick auf die Bucht von San Francisco. Leider verwehrt uns eine Buschhecke die Sicht. Also kehren wir um und gehen durch ein nobles Villenquartier weiter. Menschen begegnen wir hier kaum, vermutlich müssen sie fast Tag und Nacht arbeiten, um sich die horrenden Mieten leisten zu können. 

Nach einem weiteren steilen Abstieg sind wir bald wieder auf der Fisherman’s Wharf. Hier herrscht wie immer ein buntes Treiben. Wir lassen uns in den Abend mittragen.

Hop-on, Hop-off

Eine tolle Möglichkeit Städte zu entdecken bieten die Doppelstock-Busse. Man hat die Wahl in wortwörtlich luftiger Höhe oder im warmen Innern des Busses durch die verschiedenen Quartiere zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten einer Stadt zu fahren. So macht es auch unser Trio. Mr. Ed und Christoph haben leider keine Wahl und müssen mit dem warmen Innern vorlieb nehmen. Da die Sonne scheint und Höhe eine Perspektivenerweiterung mit sich bringt, wähle ich die Dachvariante. Und los geht’s durch die Strassen von San Francisco: von der Fisherman’s Wharf über steile Strassen bergauf zum Russian Hill, wo sich die ersten Goldgräber niederliessen und wo noch heute die reicheren Stadtbewohner ihr Zuhause haben (eine 4-Zimmer-Wohnung kostet zwischen 4000-6000$ im Monat).

Dann geht’s die an eine Achterbahnfahrt erinnernde steile Strasse hinunter in den Financial District. Die glänzenden Hochhäuser sind so hoch, dass man ihr Ende nur sieht, wenn man den Kopf vollständig nach hinten biegt. Banken und Firmen haben hier ihren Sitz.

Wir fahren an der Lombard Street vorbei, einer engen sehr kurvenreichen Strasse, und weiter leicht bergauf zu den im viktorianischem Stil erbauten Quartiere. Hier finden wir die Painted Ladies, eine Häuserzeile mit sechs in den 1890er Jahren identisch gebauten Häusern, die nur im Farbton der Fassaden leicht voneinander abweichen und dank der atemberaubenden Skyline San Franciscos im Hintergrund ihre Berühmtheit erlangten.

Nun machen wir einen geschichtlichen Sprung in die Vergangenheit. Wir fahren durch das Hippie-Quartier. Noch heute sind die Häuser bunt und mit Graffitis bemalt, an den Strassenecken wird gedealt (was hier legal ist) und ab und zu steigt einem der Geruch eines Joints in die Nase.

Die Regenbogenfarben sind das Kennzeichen der Szene der Homosexuellen, die hier in San Francisco ein sicheres und anerkanntes Zuhause findet.

Wir fahren weiter durch den riesigen Botanischen Garten. Über 5000 verschiedene Bäume wachsen hier, Pflanzen werden gezüchtet und in einem wunderschönen Park angesiedelt. Der Park dient als Naherholungsgebiet und bietet neben vielen Abenteuerwegen auch einen Bikertrail.

Die Fahrt geht jetzt Richtung Golden Gate Bridge. Wir brausen über einen Freeway. Plötzlich wird der Wind eisig kalt, und als wir aus einem Tunnel fahren, tauchen wir in dichten Nebel ein. Da vor uns ist die Golden Gate Bridge, meint unsere Guide und lacht. Die orangenen Seile und Pfeiler erscheinen schemenhaft und fliegen an uns vorüber. Wie aus dem Nichts ist der Nebel verschwunden und der letzte Pfeiler strahlt in leuchtendem Orange in der Sonne. Bis heute hat sich die goldene Lady noch nie vollständig gezeigt, sie hüllt sich kokett oder in vornehmer Zurückhaltung in ihren Nebelschleier. Sie hat noch drei Tage Zeit, es sich für uns anders zu überlegen.

San Francisco und seine Piers

Mr. Ed führt uns gleich am ersten Abend zu Pier 45. Das sei Tradition, meint Christoph, und gehöre für ihn und Mr. Ed zum Ankommen in dieser Stadt. Wir landen bei einem Schnellimbiss, er bestellt ein Corona und Fried Calamares, ich entscheide mich für Shrimps und einen Orangensaft (wenigstens etwa Gesundes zu dem frittierten Essen). Wir machen es uns an einem Tisch hinter Plastikfolien und unter einer Heizlampe gemütlich und geniessen unser erstes Essen in San Francisco. Rund herum leuchten bunte Lichter und Schriftzüge: Seafood, crabs, Fisherman‘s- Grotto, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Wir sind in Fisherman’s Wharf angekommen. Reichlich satt und mit ersten Eindrücken von dieser Stadt kehren wir ins Hotel zurück und sinken nach unserem 33 Stunden-Tag müde in unser Bett.

Am nächsten Tag machen wir uns auf die Suche nach Frühstück. Wir landen auf dem Gelände von der Ghirardelli Schokoladenfabrik, einer ehemals grossen Produktionsfirma. Der Gebäudetrakt beherbergt heute neben einer kleinen Schokolade-Produktion, eine Cheese-School, verschiedene Boutiquen, Weinprobe-Lokale und das sagenhafte Tearoom (siehe Frühstück mit Stäbchen). Wir stellen fest, dass nicht nur die Schweizer Meister in der Herstellung von Schokolade und Käse sind.

Nach dem Frühstück zieht es uns ans Ufer der San Francisco Bucht. Ein kleiner Sandstrand mit Badenden, Kindern, gealterten Campierern und Möwen. Nur ein paar Schritte weiter stehen wir mitten im  Schifffahrtsmuseum. Hier gibt es Dreimaster aus der Entdeckerzeit, Kriegsschiffe und andere alte Boote zu besichtigen. Wir schauen uns die riesigen Schiffe vom Pier aus an. Sie sind nicht Mr. Ed tauglich.

Weiter geht’s der Wharf entlang. Dieser Kai zieht sich über mehrere Kilometer der Bucht entlang und ist an einem Samstagnachmittag voller Leben: alle paar Meter ein Strassenkünstler, Musikdarbietungen, Puppenspieler, Tänzer, Verkäufer mit mobilen Küchen. Musikfetzen mischen sich, es riecht nach gebratenem Gemüse und Würsten und zusammen mit der ethnisch durchmischten Menge sieht es bunt aus wie in einem Hollywoodfilm. In einen solchen fühle ich mich auch hineinversetzt: Pretty women walks down the Street summt es in meinen Gedanken.

Bald erreichen wir Pier 39. Hier verdichtet sich die Menschenmenge und sie zieht einen Richtung Pier-Mitte: ich muss mir den Weg durch die Menge bahnen um zu sehen, was auf vielen Plakaten angekündigt worden war: auf Holzstegen kämpfen, balzen, schlafen, sonnen sich Seelöwen. Hunderte! Sie veranstalten einen Tumult und einen Riesenkrach mit ihrem vielstimmigen Oink-Oink. Sie haben ihre Geschichte hier auf diesem Pier in San Francisco. Sie kamen zum ersten Mal nach dem grossen Erdbeben von 1989. Damals waren es nur wenige. Mit jedem Jahr wurden es mehr und man liess sie gewähren. Später waren sie wegen ihres Krachs unbeliebt bei den Restaurantbesitzern rund um den Pier, doch wurden Vereinbarungen getroffen und heute stehen die Seelöwen unter Schutz und sind eine Touristenattraktion geworden.

Der eigentliche Pier 39 besteht aus einer langen Doppelreihe Holzhäusern auf zwei oder drei Stockwerken, die Läden mit Schmuck, Andenken und Schleckereien oder kleine Restaurants und Bistros beherbergen. Am Wochenende scheint dieser Pier ein Anziehungspunkt zu sein.

Da die Wharf noch nicht zu Ende ist, spazieren wir weiter. Es wird etwas ruhiger. Die Anlegestellen für die riesigen Kreuzfahrtschiffe wechseln sich mit dem Meeresaquarium, das Haie beherbergen soll, Schiffswerkstätten, dem Exploratorium, das uns an das Winterthurer Technorama erinnert, und vereinzelten kleinen Restaurants ab. Überrascht entdecke ich auf einem Dach eine Schweizerfahne. Christoph nimmt an, es sei das Zeichen für das Amerikanische Rote Kreuz. Mr. Ed führt uns zu einer grossen SBB-Standuhr. Ein unverkennbares Zeichen. Daran sind Tafeln mit Hinweisen auf das Schweizerische Konsulat und eine Schweizer Firma festgeschraubt.

Am Ende der Wharf befindet sich der Pier 1. Hier steht das Ferry Building ein grosses Gebäude mit Turm, das nach dem Brand als Folge des Erdbebens 1906 wieder aufgebaut wurde. Es ist von einem Palmenhain eingerahmt und beherbergt noble Restaurants.

Wir kehren wieder um und machen uns auf die Suche nach einer Stärkung. Fündig werden wir bestimmt, es gibt genügend Auswahl und Möglichkeiten auf den Piers von San Francisco.

HAPPY LANDING

Jetzt ist es endlich soweit. Wir sitzen im Flugzeug, Mr. Ed und sein Gefährte, der Swiss-Trac, sind hoffentlich wohl verstaut im Frachtraum. Etwas über elf Stunden Flug haben wir vor uns. Wenn wir ehrlich sind, graut uns etwas vor dieser langen Sitzerei. Doch erstaunlicherweise vergeht die Zeit wie im Flug, ja wortwörtlich gemeint. Die europäische Landschaft wirkt aus 10’000 Metern Höhe wie ein gelb, braun, grüner Flickenteppich, der britische sieht übrigens ähnlich aus. Dazwischen überqueren wir den blauen Ärmelkanal, der aus dieser Höhe weniger breit wirkt, als ich ihn mir vorgestellt habe. Über dem Meer liegt ein dickes Wolkenmeer, so dass wir uns dem Essen und dem Schlaf widmen. Als ich das nächste Mal zum Fenster hinaus schaue, befinden wir uns bereits über der Unendlichkeit Nordamerikas und nach einer weiteren Stunde gibt der Captain die Vorbereitung zur Landung bekannt. Nach 11 Stunden und 5 Minuten landen wir wohlbehalten in San Francisco.

Hier machen wir als erstes die Bekanntschaft mit zwei Mobility Assistences, die Christoph aus dem Flugzeugsitz zurück auf Mr. Ed hieven. Der eine verschwindet, der zweite übernimmt die Führung zum Gepäcksempfang. Alles ganz normal bis hierhin. Doch nun verfällt der etwas feste und plump wirkende Mann in einen eiligen Schritt. Sein Gangbild erstaunt mich, vielmehr erstaunt mich jedoch sein immenses Tempo, das er an den Tag legt. Mein Schritttempo beläuft sich im Durchschnitt auf 6 km/h, seines muss bei mindestens 10km/h liegen. Damit ich das Dreiergespann in der Menschenmenge nicht verliere, muss ich zwischendurch einen Gang höher schalten und rennen! Ich renne einem hinkenden, Rollstuhl schiebenden Assistenten hinterher, der Mr. Ed samtChristoph in schlafwandlerischer Sicherheit durch den Flughafen rollt. Wir landen bei der Grenzkontrolle. Fingerabdrücke beider Hände plus Foto ohne Brille. Wir scheinen unverdächtig zu sein und können passieren. Und weiter geht’s, wieder in diesem horrenden Tempo, langsam komme ich ins Schnaufen. Nicht so Christophs Assistent. Er rast zur Ausgabe des Sperrguts, wo der Swiss-Trac abholbereit neben dem Fliessband steht. Nun sind wir wieder autonom. Wir versichern dem Assistent, dass wir nun ohne seine Hilfe auskommen. Er fragt dreimal nach, ob wir denn unseren connecting flight ohne ihn erreichen würden. Als wir ihm sagen, dass wir in San Francisco bleiben, werden seine Augen gross und sein Gesicht lang. Er reicht uns zum Abschied seine linke Hand, der rechte Arm hängt ihm beim Weggehen schlaff am Körper (eine einseitige Körperlähmung?). Wir schauen einander an. Hat sich der gute Mann umsonst so verausgabt? Er tut uns etwas leid, zum Glück haben wir ihm ein grosszügiges Trinkgeld gegeben. 

Ottawa

Ottawa oder [Otauà], wie uns schon bei der Ankunft im Bahnhof verkündigt wird, heisst uns mit seinen Nachtlichtern willkommen. Am nächsten Morgen begrüsst uns ein sonniger Tag und die Aussicht von unserem Zimmer, das eher einer kleinen Wohnung ähnelt, ist umwerfend schön:

Wir machen uns mit dem Taxi von Abdul auf den Weg in die Stadt. Wohin wir wollten, lautet seine Frage. Wir beginnen mit dem höchsten Punkt der Stadt. Der höchste mit Doppelbedeutung, geographisch und politisch: Wir steigen auf dem Parlament Hill aus.

Königin Viktoria hat im 19. Jahrhundert Ottowa zur Hauptstadt Kanadas gekürt und liess für die Regierenden eine Schlossanlage inklusive Turm in Anlehnung an den Londoner Big Ben erbauen. Sein Geläute steht übrigens dem Original in nichts nach! Ich komme mir vor, als sei ich nicht einem Taxi, sondern Cinderellas Kutsche entstiegen. Doch werde ich abrupt aus meinem Märchen gerissen. Auf der Suche nach den Washrooms, bellt mich ein Security an: Go out here! Out! Ob ich wohl mit meinem Gipsarm so bedrohlich wirke? Sicher ist, dass Monsieur Trudeau und seine Regierung gut bewacht werden.

Der Rundgang um die Parlamentsgebäude gibt uns den Blick über die Stadt frei. Sie wird durch den Fluss Rideau getrennt, ist aber durch zwei grosse Brücken wieder verbunden. Ottowa scheint von Grün umschlungen, überall hat es herbstlich gefärbte Bäume und Parkanlagen, die vom Stadtrand in die Stadt hineinwachsen.

Wir spazieren vom Parlament Hill Richtung Stadt und suchen Schutz vor dem eisigen Wind und Wärme im Einkaufszentrum Centre Rideau. Es ist nicht ganz so gross wie dasjenige von Montreal, doch auch gross genug, um sich zu verlaufen. Aufgewärmt und mit Kabelbindern für Mr.Ed ausgestattet (siehe Beitrag: Der tapfere Mr. Ed), verlassen wir diesen Einkaufspalast und machen uns auf den Weg zum By Market. Er liegt gleich um die Ecke, und es tut sich für uns wieder eine neue Welt auf. Wir stehen mitten in der Altstadt Ottowas. Zweistöckige Häuser reihen sich aneinander, viele aus rotem Backstein gebaut, andere aus Sandstein. Der Stil ähnelt sich, doch hat jedes seine ausgeprägte Individualität. Hier wird etwas von der Bodenständigkeit des ursprünglichen Ottowas fühlbar. Die ersten Bewohner waren Holzarbeiter und auch Königin Viktoria musste deren ursprüngliche Selbstverständlichkeit erkannt haben. Ottowa hat sich seine Bodenständigkeit erhalten, schafft den Zugang zur Modernen ohne diese Bodenhaftung zu verlieren. Von all dem erzählen die Stadt und die Menschen, die sich in ihr bewegen. Im Altstadtviertel ist das moderne Leben eingezogen: viele Souvenierläden, irische Pubs, Bars, einige Lebensmittelläden, Coiffuresalons oder Nailstudios und Restaurants statten die Untergeschosse der Häuser aus. Mitten in diesem Quartier steht die Markthalle. Heute finden sich hier vor allem Verpflegungsstände verschiedenster Nationen und einige Läden mit kanadischem Handwerk. Eine bunte Welt, in der wir uns sehr wohl fühlen (wenn es bloss nicht so kalt wäre!).

Am nächsten Tag möchten wir den Jaques Cartier Park besuchen und die Rideau Falls. Abdul setzt uns am Eingang des Parks ab. Es beginnt zu regnen. Das erste Mal seit Victoria. Wir nehmen es gelassen, Kapuzen rauf und weiter geht‘s. Ach ja, Mr. Ed! Ihm macht der Regen nichts aus, im Gegenteil, so werden seine verstaubten Räder vielleicht etwas gereinigt. Aber nun zurück zu unserem Parkbesuch: wir gehen und rollen Richtung Eingang. Durch grüne Absperrgitter sehen wir grosse Baumaschinen und riesige Pflanzenskulpturen: Pferde, eine Eisenbahn, Fantasiegestalten. Wie gerne würden wir diesen Park entdecken! Aber uns wird durch den Saisonschluss und die Bauarbeiten zur Erneuerung der Skulpturen der Zugang verwehrt. Wieder sehen wir die Wasserfälle nicht.

Auf dem Weg zurück in die Stadt grüsst uns vom Strassenrand her eine freistehende Kirche. Notre-Dame heisst uns in neugotischem Stil willkommen. In ihrem mit wunderschönen Holzschnitzereien verzierten Innern geniessen wir die Wärme und die anheimelnde Atmosphäre.

Danach steht ein Zvieri im ByWard Market und Mitbringsel-Einkauf auf dem Programm. Später lassen wir uns  voller Eindrücke von Abdul ins Hotel zurückfahren.

Morgen wird uns unsere letzte Zugfahrt nach Toronto zurückführen, dahin wo uns der Bär Jasper und das Flugzeug nach Zürich erwarten.

Die Vielfalt zweier Sprachen

Eigentlich haben wir keine Probleme, uns in Kanada zu verständigen. Wir sprechen beide, unterschiedlich gut zwar, Englisch und Französisch. Aber eben, das Eigentlich beinhaltet ja schon unsere Stolpersteine. Es beginnt in Vancouver in der Bahn vom Fluhafen in die Stadt. Christoph wird auf seinen Swiss-Trac angesprochen. Ich strenge mich an und verstehe das meiste. Das kanadische Englisch unterscheidet sich in der Aussprache recht deutlich vom amerikanischen oder britischen Englisch. Beim Personal im Hotel gehts weiter. Alles Anstrengen und genauestes Zuhören nützen uns nicht viel. Das Sprechtempo ist sehr hoch und der Slang so ausgeprägt, dass wir die jeweilige Person ziemlich ratlos ansehen. Bei einer langsameren Wiederholung haben wir zumindest eine Chance, den Zusammenhang zu verstehen.

Je weiter wir nach Osten reisen, desto schwerer verständlich wird das Englisch der Kanadier. Einen Höhepunkt erleben wir an der Rezeption unseres Hotels in Calgary: wir fragen, wo wir den Swiss-Trac deponieren dürften. Der junge Mann lehnt sich mit schräger Kopfhaltung über die Frontdesk und meint: I don‘t understand your accent. What did you say? Seine Antwort verstehen wir dann auch erst bei der dritten Wiederholung…

In Montreal versuche ich es mit meinen Französischkenntnissen. Zu verstehen scheinen mich die angesprochenen Menschen, es fragt jedenfalls niemand nach, wenn ich etwas sage. Wie es uns mit dem kanadischen Französisch ergeht? Kennt Ihr den Film Bienvenue chez les Ch‘tis? Genau so sind wir am Rätseln, was unser Gegenüber uns mitteilen möchte. Doch, doch, ab und zu verstehen wir. Ein Kellner fragt Christoph höflich: Vous-avez besoin de la [schais]? Nach kurzem Überlegen kommt bei mir die Erkenntnis: er meinte la chaise. Oh, das kann ja heiter werden!

Einmal fragen wir nach dem Weg. Die Antwort, wie wir sie verstehen: Chez le vingt août à gauche. Wir suchen nach einem Schild eines Restaurants mit dem Namen vingt août. Beim Schild der Kaffee-Kette Van Houtte schauen wir uns an und lachen los. Willkommen bei den frankophonen Kanadiern!

Mit der Zeit, vermutlich nach viel Zeit, kann man sich sicherlich an die kanadische Aussprache gewöhnen. Doch soviel Zeit ist uns in Montreal nicht vergönnt. Zum Schluss unseres Besuches erhasche ich aber noch ein Kompliment. In einer Kleiderboutique fragt mich die Verkäuferin, ob ich eine Kundenkarte habe oder eine wolle. Ich verneine und sage ich sei nicht von hier. Sie erstaunt: Ah, vous n‘ êtes pas de Montréal?  Ob sich wohl mein Französisch dem kanadischen angenähert hat? Um dies zu erörtern, bleibt keine Zeit. Wir nehmen am selben Nachmittag den Zug nach Ottawa. Da wird mehrheitlich Englisch gesprochen, kanadisches Englisch wohlgemerkt!

Versteckte Kirchen

Früher machte ich Reisen, um Kirchen zu besichtigen und sie kunsthistorisch und theologisch zu verstehen. Später habe ich mich in die Materie vertieft, Gruppen geführt und versucht, die Teilnehmenden für die sakrale Kunst zu begeistern.

Wenn ich heute unterwegs bin, was ich als Früherzieherin ja viel bin, fallen mir die Kirchen immer sofort ins Auge. In der Zentralschweiz sind es meist riesige Gotteshäuser, die von weit her sichtbar sind.

Hier in Kanada stelle ich fest, dass ich eher zufällig auf Kirchen stosse. Mein Augenmerk richtet sich in den Grossstädten wohl oder übel zuerst auf die himmelsstrebenden Hochhäuser. Diese locken ja auch mit glänzenden, spiegelnden Riesenfassaden und spannender Architektur. In Vancouver entdecke ich an einer Kreuzung zwischen Hochhäuser eingeklemmt eine Kirche. Klein ist sie nicht, wie man vielleicht aus meiner Schilderung entnehmen könnte. Nein, sie hat eine stattliche Grösse, ist, wie viele Kirchen Kanadas, im neugotischem Stil des 19. Jahrhunderts gebaut. Früher wirkte sie sicher gross und erhaben, und sie würde es heute noch tun, wäre sie freistehend, ohne die Glasgiganten rechts und links. So würde ich sie sicher sofort wahrnehmen, wie sie in der Realität ist. Diese erste Kirche hat mir geholfen, meinen Blick wieder kirchenorientiert auszurichten. Und siehe da: es gibt sie zuhauf. Mehr oder weniger versteckt wie in Vancouver finde ich sie auch in Calgary, Toronto, Kingston und Montreal. Mal werden die Nachbarshäuser oder -glastürme direkt an die Kirchenfassade gebaut, mal stehen die Gotteshäuser auf einem Platz, gehen aber in der Fülle des Gigantismus der umliegenden Häuser verloren.

Bei solchen Beobachtungen gehen mir so einige Gedanken durch den Kopf: früher wurden die Kirchenbauten dem Umfang des vorhandenen Geldes angepasst, doch waren die Grösse des Kirchenschiffes und die Höhe der Türme wichtig für das Ansehen einer Stadt. Heute scheint es nicht viel anders zu sein. Toronto gilt als ehrgeizige Stadt und baut die schwindelerregend hohen Hochhäuser und Türme. Auch in Vancouver macht sich dieses Phänomen breit. Ein vordergründiges Macht -und Geldgehabe? In den Nebenquartieren findet man auch in diesen Städten das normale Leben sehr unterschiedlicher Bevölkerungsschichten.

Doch es gibt auch Ausnahmen bei den versteckten Kirchen. Solche sehe ich immer wieder in Kleinstädten oder Dörfern. Hier stehen sie freier und werden nachts gar beleuchtet. So gesehen auf der Zugfahrt von Montreal nach Ottowa.

Montreal – eine Stadt mit zwei Gesichtern

Bei unserer Ankunft ist es schon dunkel. Wir gehen die 1,2 km zum Hotel zu Fuss, nun ja, eigentlich gehe nur ich zu Fuss. Christoph und Mr. Ed fahren also mit mir durch die beleuchtete Stadt. Unser Weg führt erst an einer verkehrsreichen Strasse entlang. Links und rechts die für eine kanadische Grossstadt typischen schier unendlich hohen Häuser.

Dann biegen wir in unsere Hotel-Strasse ein, in die Rue St. Catherine: breite Trottoirs, die bekannten Fussgängerampeln (ohne Kuckuck!), gut befahrene Strassen und viele Leute unterwegs. Wir kommen an Theatern und Museen vorbei, an beleuchteten Konzerthäusern, riesigen Leuchtplakaten. Diese Stadt lebt und gibt uns sofort das Gefühl, angekommen zu sein.

Am nächsten Mittag (wir haben uns wieder einmal eine genügend lange Nachtruhe gegönnt) machen wir uns auf zum Bahnhof, um unsere Fahrkarten nach Ottowa und von dort zurück nach Toronto zu buchen. Die Sonne scheint und bringt alles sprichwörtlich an den Tag: der Zauber der Nacht ist verflogen. Die Schilder und Häuser sind die gleichen, doch wirken sie am Tag verlebt, alt und irgendwie stumpf. Montreal scheint in die Jahre gekommen zu sein. Auch die Leute unterwegs sind anders als in der Nacht. Keine herausgeputzten Menschen (Konzert- und Theaterbesucher?) mehr, sondern einfach gekleidete, manchmal ärmlich anmutende Hausfrauen und Familien, viele Jugendliche sind unterwegs.

Mit den Fahrkarten im Rucksack machen wir uns auf den Weg zum Vieux Port und zu Vieux Montréal. Eine kilometerlange Promenade führt uns dem alten Hafen entlang. Rostige Warenlagerhäuser und -silos erzählen von der einst grossen Handelsmetropole Montreal. Heute findet man an den neueren Docks Rundfahrtschiffe für Touristen, die aber schon Saisonschluss haben, ein Riesenrad, einen Kletter- und Abenteuerpark mit zwei Piratenschiffen. Wir steigen eine Strasse hoch, die uns zum alten Montreal führt, zur Altstadt, die noch sehr gut erhalten ist und gut gepflegt wird.

Wieder dunkelt es langsam ein, die Häuser sind zum Teil beleuchtet oder schimmern im Strassenlampenlicht. Eine pittoresk und heimelige Ambiance strahlt uns entgegen und wir erfreuen uns an dem gefundenen Bijou. Unser Abendessen geniessen wir in einem ebensolchen Haus, begleitet von jungen Jazzmusikern.

Da wir nur einen kleinen Teil von Vieux Montréal gesehen haben, besuchen wir es am nächsten Tag nochmals. Und wieder sind wir ernüchtert: die Häuser aus grauem Kalkstein und den flachen Fassaden wirken kühl wie das Wetter. Selbst die durchbrechende Sonne vermag unseren Eindruck nicht zu ändern. Was immer noch pittoresk ist, sind die kleinen Geschäfte und Restaurants oder Bistros in den Häusern. Die meisten heissen einen mit einem rustikalen, gemütlichen Innern willkommen. Unser einziges Problem ist, dass fast ausnahmslos alle nur über Stufen erreichbar sind…

Schliesslich machen wir uns auf zu Montreals Unterwelt. Unter der Stadt gibt es ein Wegsytem, das, mit den Metrostationen verbunden, die Stadt über 30km netzartig durchzieht. Hier gibt es mehr als 1700 Geschäfte, Bistros und Restaurants. Als Fremde in der Stadt braucht man seine Zeit, um die Eingänge, die Ausgänge und die Orientierung zu finden. Eine eigenartige Erfahrung untertags durch lange leere Gänge zu gehen und plötzlich in einem riesigen Shoppingcenter (über mehrere Stockwerke) zu stehen.

Erst jetzt verstehe ich, wieso in den Strassen so wenige Geschäfte und Einkaufsmöglichkeiten zu finden sind. Die Menschen hier bewegen sich vom Wetter geschützt in der Einkaufsunterwelt durch die Stadt. In einer Stadt unter der Stadt.

Einkaufsbummel in Kingston

Eigentlich hätte ich genügend warme Kleidung eingepackt, sprich dicke Pullis und einen Fleece- Mantel. Doch mit Gips hat das Kleiderschichten seine Grenzen. Der Arm findet in den letzten zwei von fünf Ärmeln einfach keinen Platz mehr oder der Gips wird schmerzhaft gegen meine Verletzung gedrückt. Die Idee, wie der Kälte zu trotzen ist, kommt von Christoph: eine Daunenjacke anschaffen. Die gibt warm und das Anziehen wird viel einfacher. Gesagt, getan, oder besser wir machen uns dafür auf den Weg.

Kingston hat eine Einkaufsstrasse, die Princess-Street. Hier findet sich alles, was das Herz begehrt: Papeterien, Accessoires für die Wohnung, Männerunterwäsche, Coiffeursalons, Nailstudios, Warenhäuser, Apotheken, Pizzerien, Sushi-Läden, Antiquariate und Kleidergeschäfte für Gross und Klein. Alle diese Geschäfte sind in altem, englischem Stil gebaut und vermitteln einem das Gefühl, in Notting Hill gelandet zu sein.

Wir entdecken auf unserem Bummel eine Bäckerei mit integriertem Café. Beim Eingang steht das Gestell mit frischem Brot, daneben hat man Einblick in die riesige Backstube. Weiter gehts an Gestellen mit Süssgebäck und Käse vorbei, eine Rampe hinauf ins Café. Die Tische stehen eng, darauf liegen Stoffservietten aus unterschiedlichsten Stoffresten genäht. Die Wände sind hellgelb gestrichen, die Friese hellgrün, was dem Lokal eine frische heimelige Atmosphäre gibt. Wir fühlen uns hier wunderbar aufgehoben.

Frisch gestärkt machen wir uns weiter auf die Suche nach einer warmen Jacke für mich. Erstes Geschäft: die billigste kostet 298$, die teuerste 878$, was mein Budget definitiv sprengt. Im nächsten Geschäft sind die Jacken entweder modisch zu kurz und weit geschnitten oder ich versinke in einem Mantel wie in einem Zelt. Das dritte hat Hochglanz-Jacken, in denen ich mich fast spiegeln kann oder auch wieder fast 300$ teure Daunenjacken.

Da unser Bus zur Train Station bald fährt, verschieben wir den Jackenkauf. Vielleicht werden wir in Montreal fündig.

Die Island Queen und 1000 Inseln

Blau, weiss, rot, gelb, grün. Von diesen Farben umgeben sind wir unterwegs am Ende des Lake Ontarios, da wo er in den St. Lawrence River mündet. Die Island Queen pflügt sich durch die dunkelblauen Wellen. Das Sonnenlicht glänzt auf dem Wasser, weisse Schaumkronen huldigen die Queen. Der Indian Summer steht am Ufer Spalier und begleitet ihre Fahrt in den schönsten Farben. Die Island Queen ist ein altehrwürdiger Dampfer, sie erinnert mich stark an die Mississippi- Dampfer aus alten Filmen. Die Fahrt geht durch 1000 Inseln, grosse, bewohnte, kleine und kleinste, die man mit etwa fünf Schritten überqueren könnte. Die Engländer, oder genauer Sir John Mac Donald, ein Schotte und seine Gefolgschaft, entdeckten diese Inseln anfangs des 19. Jahrhunderts und nahmen sie in Besitz. Ein Fort mit Britischer Flagge und Kanonen zeugt noch heute von deren Wehrhaftigkeit. Sie verteidigten das strategisch gut gelegene Land erfolgreich gegen die Franzosen. Heute sind viele der Inseln bewohnt, zum Teil hat es nur gerade für ein einziges Haus Platz, auf anderen hat es kleine Siedlungen. Wie es wohl ist alleine, ohne Nachbarn auf einem kleinen Eiland zu leben? Nachbarfehden sind da nicht möglich. Und bei Bedarf nach Kontakt ist die nächste Insel kaum mehr als zehn Ruderschläge entfernt. Das Wasser- und Insellabyrinth wirkt eng und weit zugleich. Ich bin froh, dass sich die erfahrenen Seebären gut auskennen und uns sicher in den Hafen von Kingston zurückbringen.

Von Toronto nach Kingston

Pünktlich um 15 Uhr stehen wir in der riesigen Halle der Union Station in Toronto und diskutieren, wo wir den für uns zuständigen Zughelfer treffen müssen. Noch bevor wir uns geeinigt haben, steht ein älterer Herr neben uns und fragt nach Christopher. Der englische Gentleman begleitet uns zum Zug nach Kingston. Neben einer einem Ungeheuer ähnlichen Lokomotive (gross, grün, zischend) vorbei gehts zu unserem Wagen. Der Hebelift steht schon bereit, und bald sind wir im Zug verladen. Was nun folgt, ist ein weiteres unvergleichliches Erlebnis: Empfangen werden wir von Luis-Angel, einem Kubaner, der fliessend Englisch, Französisch und sogar einige Sätze Deutsch spricht. Sehr charmant und mit herzlichem Humor ist er um unser Wohl besorgt. Bald sitzen wir in bequemen Ledersesseln, vor uns steht ein länglicher Klapptisch. Mélanie, eine frankophone Kanadierin kümmert sich um Mr. Ed. Dieser überlässt sich vertrauensvoll den weiblichen Händen und den Gurten, mit denen sie ihn für die Fahrt sichert. Kurz nach der Abfahrt kommt Luis-Angel mit einem Getränkewagen vorbei und fragt nach, welchen Drink wir möchten. Er hat alles dabei: Weisswein, Rotwein, Wodka, Whisky, Rum, Gingerale, Wasser, das obligate Eis und vieles mehr. Dazu gibt es ein Säckchen mit Snacks. Wir sitzen da und staunen. Doch wichtiger als Drinks und Snacks ist uns die vorüberrasende Landschaft. Der Zug fährt 120 – 150 km/h und schwankt dabei hin und her, wenn er über Weichen und Bahnübergänge donnert. Vor jedem Bahnübergang hupt er langanhaltend. Es gibt zahlreiche Hupkonzerte auf der Strecke nach Kingston. Die Reise geht über Land, an immensen Kornfeldern, Wiesen und herbstlich gefärbten Wäldern vorbei. Auf der anderen Seite taucht ab und zu der riesige Lake Ontario mit Sandstränden und malerischen Buchten auf. Nicht lange nach dem Apéro erscheint Mélanie und fragt, welches Menü wir gerne hätten. Essen gäbe es schon um 16.30 Uhr, da der Zug um 18.00 Uhr in Kingston ankomme. Wir sitzen da und staunen noch mehr. Ein Menü, das im Fahrpreis inbegriffen ist? Ein dreigängiges Menü, wohlgemerkt. Wir haben die Wahl zwischen Fish, Chicken oder Pork mit unterschiedlichen Beilagen, dazu Salat und ein Stück Kuchen. Zu Kaffee oder Tee gibt es einen Riegel Schokolade. Wir sitzen da, staunen und geniessen all das, was uns im Zug und ausserhalb geboten wird. Bald geht unsere Fahrt dem Ende zu und wir machen uns für den Ausstieg bereit. Erst werden Christoph und Mr. Ed ausgeladen. Danach komme ich mit Swiss-Trac und Koffer nach. Als ich wieder festen Boden unter den Füssen habe, schaue ich mich um: Wiesen, Büsche, vereinzelte Bäume, ein kleines Gebäude und eine schmale Strasse. Zum Glück sehe ich an einem Pfosten ein Schild. Kingston steht tatsächlich darauf. Meine erste Frage an Christoph: Wo sind wir denn da gelandet? Alles löst sich in Minne auf (fast alles!). Ein Bus fährt uns ins Zentrum einer hübschen englischen Kleinstadt. Nach einem zehnminütigen Marsch durch Schneegestöber kommen wir im Hotel an. Was noch nicht im Lot ist? Unser Zimmer ist nicht rollstuhlgängig. Für solche Zimmer müsste das Hotel umgebaut werden, erfahren wir vom Rezeptionisten. Zum Glück sind wir gut im Improvisieren. Ein Balkonstuhl muss als Duschstuhl herhalten und die Überschwemmung im Bad nehmen wir gelassen. Noch etwas? Ja! Mr. Ed ist frustriert. Als wir unsere Billette nachträglich genauer anschauen wird klar, dass Mr. Ed einen im Fahrpreis inbegriffenen Snack zugute gehabt hätte. Mélanie hat ihm diesen aber vorenthalten. Die Banane, die ich ihm stattdessen anbiete, verweigert er stur.

Toronto

Wir sind gespannt und neugierig auf diese Weltstadt, die grösste Stadt Kanadas. In ihr und ihren Agglomerationen wohnen über sechs Millionen Menschen, also fände hier fast die ganze Schweizer Bevölkerung ein Zuhause.

An der Union Station, dem Zentralbahnhof von Toronto, steigen wir aus dem Taxi. Da wir das Frühstück wieder einmal verschlafen haben (durch die späte Flugankunft wurde auch die Bettzeit nach hinten verschoben), machen wir uns auf die Suche nach einer Essgelegenheit.

Beim ersten Fussgängerstreifen werden wir fast von der entgegenkommenden Menschenmenge überrannt. Wie ging es doch in Vancouver und Calgary gemütlich zu! Ein Polizist sorgt für einen einigermassen geordneten Ablauf der Blech- und Menschenlawinen. Unser Trio ist ziemlich überfordert mit diesen eiligen und rücksichtslosen Menschen hier. Wir flüchten in einen Food Court, verlaufen uns erst auf der Suche nach einem Lift für Christoph und Mr. Ed, finden aber schliesslich mit Hilfe einer Geschäftsangestellten, was wir wollen.

Bald ist es Zeit, die Scotiabank Arena zu suchen. Es ist nicht schwierig, brauchen wir doch nur den Toronto Maple Leafs Fans in ihren blauen Eishockey-Shirts zu folgen. Ja, ganz genau! An diesem Abend besuchen wir das NHL-Spiel Toronto-Los Angeles. Und wer jetzt denkt, ich sei ein Eishockey-Fan liegt falsch. Christoph ist der Begeisterte, spielte er doch früher selber Eishockey, und ein Kanadisches Spiel live mitzuerleben, ist ein grosser Wunsch von ihm. Ich lasse mich gerne auf Neues ein und dieses Spiel verspricht ein Spektakel zu werden. Ich werde auf professionelle Art in die Kanadische Art des Eishockeyspiels eingeweiht. Es macht auch mir Greenhorn Spass, diese Show zu verfolgen, bei der Eishockey eher eine Begleiterscheinung bleibt. Ein toller Abend!

Am nächsten Morgen werden unsere Ausflugspläne wegen Mr. Ed durchkreuzt. Nein, nein, keine Sorge, er ist stabil und funktionstüchtig! Aber der Bus, der uns zu den Niagara Falls hätte mitnehmen sollen, ist für Mr. Ed nicht zugänglich. Tja, auch hier im rollstuhlfreundlichen Kanada gibt es noch unüberwindbare Hindernisse. Wir drei können aber gut leben damit und beschliessen stattdessen eine Sightseeingtour im Bus zu machen. Das Sightseeing beginnt schon auf dem Weg in die Stadt. Wir fahren mit Bus und Zug, fahren durch Aussenquartiere, die Touristen wohl sonst kaum zu Gesicht bekommen. Schäbige Wohnblocks, arabische und afrikanische Bewohnerinnen und Bewohner im Bus und unterwegs. Ich fühle mich hier als Exotin und fehl am Platz. Und ich staune einmal mehr über die Gegensätzlichkeiten Kanadas. Obwohl es diese Gegensätze auch bei uns gibt. Hier kommt sie mir einfach augenfälliger vor.

Doch nun zu unserer Bustour durch Toronto. Den roten Doppeldecker finden wir schnell. Hinter dem Steuer sitzt Vader Abraham (Christoph nennt ihn so!): zuerst fällt mir der hellgrüne Turban auf, darunter blitzen Augen hinter einer runden Nickelbrille, dann der lange, weisse Bart. Jeder Nikolaus würde neidisch. Darunter eine knallrote Arbeitsjacke, in der gleichen Farbe wie der Bus. Sein Fahrstil ist wohl den Möglichkeiten des eher altertümlichen Fahrzeuges angepasst. Es rumpelt und quietscht und holpert und ruckt…

Aber wir bekommen eine Menge von Toronto zu sehen und erfahren Etliches über die Geschichte der Stadt: Handelsstadt im 19. Jahrhundert, zwei Brände im 20. Jahrhundert, die die halbe Stadt zerstörten. Unterschiedlichste Quartiere, ursprüngliche Häuser, Chinatown, Konzerthallen, modernste Museen und ein riesiges Schloss, mit einer Stilmischung aus europäischen Vorbildern. Nach zwei Stunden steigen wir reich an Eindrücken an der Habourfront aus. Ja, richtig, wir sind wieder einmal hungrig. Ein tolles Lokal wartet auf uns: Amsterdam Brew House. Eine alte Bierbrauerei, in der es nebst Bier auch feinen Lachs zu essen gibt.

Auf dem Weg zurück ins Hotel machen wir noch bei einem Billett-Schalter in der Union Station Halt. Mit Mr. Ed kann man nicht einfach schnell ein Bahnticket lösen. Er verlangt eine Sonderbehandlung und viel Geduld der Bahnfrau und von uns. Aber wir brauchen ihn ja, deshalb nehmen wir solches gerne in Kauf.

Etwas Gutes hat ja mein gebrochenes Handgelenk schon gebracht: Wir entdecken die öffentlichen Verkehrsmittel und sehen und erleben vieles, das wir mit dem Auto verpasst hätten. Die Tickets sind übrigens für die Zugfahrt nach Kingston gedacht, die nächste Stadt, die wir entdecken wollen.

Calgary

Was unternimmt man in Calgary? Unser Programm wird durch gewisse Umstände etwas eingeschränkt. Das Freilichtmuseum zum Thema der Geschichte der Einwanderer in Kanada hat schon Saisonschluss, unsere frische Wäsche ist aufgebraucht, und ich muss vor dem geplanten Flug nach Toronto mein gebrochenes Handgelenk in einer Klinik checken lassen.

Also trennen sich unsere Wege für ein paar Stunden. Christoph will die Laundry im Hotel ausfindig machen, und ich mache mich auf den Weg ins Spital. Der nette Kenny Hunt von der Front Desk hat mir das nächstgelegene auf einem Stadtplan eingezeichnet. Ein Taxi bringt mich zur Emergency des Sheldon M. Chumir Health Centre. Ich habe mein iPad, ein paar Snacks und Wasser dabei, so sollte ich die befürchtet langen Wartezeiten gut überstehen. Die Schiebetüre zum Eingangsbereich öffnet sich automatisch. Mir ist als sei ich in der Fernsehserie Emergency Room gelandet: Hinter einer Glasscheibe gleich bei der Warteschlange zur Anmeldung stehen zwei bullige Securítys, die für die Sicherheit der Patienten sorgen (so steht es auf einem Plakat). Nach dem Kurzcheck bei einer Nurse geht’s zu den Anmeldeformalitäten. Der asiatische Mitarbeiter bekundet einige Mühe mit meinem Namen und der Schweizer Adresse, fast mehr als ich mit dem linkshändigen Unterschreiben.

Danach heisst es warten. Warten zwischen Menschen von hier, zum Teil sehr armselige Gestalten, die oft zuerst in den Washroom geführt werden; zwischen alten, gebrechlichen Menschen, die in Rollstühlen sitzen, die man bei uns längst entsorgt hätte. Dann gibt es die jungen, taffen Kerle, die ihre Schmerzen scheinbar locker nehmen, Eltern mit Kindern, Ladys mit iPads wie ich. Zum Schreiben komme ich hier kaum, es gibt zu viel zu beobachten. Zur Orientierung hängt eine grosse Zeittafel an der Wand. Sie zeigt an, wie lange es dauert, bis man einen Arzt zu Gesicht bekommt. Bei meinem Eintritt waren es 1:35, also eineinhalb Stunden. Diese Angabe stimmt recht gut und nach dreieinhalb (3,5!) Stunden stehe ich wieder draussen und warte auf das Taxi. Ach ja, mein Knochen wächst immer noch in der richtigen Stellung zusammen, und ich darf nun mit einer Schlinge rumlaufen. Arm hoch und Finger bewegen, hat Dr. Thomas angeordnet. Damit die Schwellung meiner Hand zurück geht.

Zur Erholung machen wir später bei -1Grad und leichtem Schneefall warm eingepackt einen Stadtspaziergang. Wir fallen etwas von der Menge ab, die Menschen hier laufen zum Teil noch im T-Shirt herum. Die beleuchtete Stadt mit ihren Glastürmen und den einfacheren Häusern hat in der Dämmerung einen gewissen Reiz. Wir gehen bis zum Park am Fluss, der im Sommer sicher sehr belebt ist. Dann suchen wir wieder die Wärme unseres Hotels.

Der nächste Morgen bringt die Sonne und etwas angenehmere Temperaturen zurück. Vor unserem Flug nach Toronto gehen wir nochmals auf Besichtigungstour. Die Stephens-Street zeigt die Geschichte der Handelsstadt Calgary in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts auf. Mit dem Bau der Eisenbahn begann der Handel zu florieren. Noch heute scheint hier das Herz dieser Stadt zu schlagen. Die sich über mehrere Blocks und über vier Stockwerke erstreckende Einkaufsstrasse, die glänzenden, hohen Neubauten hinter den historischen Häuserreihen und die Firmen- und Banken-Inschriften zeugen davon.

Diese Stadt führt uns wieder sehr deutlich die gesellschaftlichen Unterschiede vor Augen. In den gläsernen Neubaufassaden spiegeln sich in Lumpen gehüllte, hinkende Menschen, die ihr ganzes Hab und Gut in einem Einkaufswagen vor sich herschieben.

Ob Toronto uns Ähnliches erzählen wird?

Ein Taxi nach Calgary

Die Busverbindungen nach Cagary sind nicht schlecht, sie dauern einfach ihre Zeit. Der eine Bus startet um 8.30 Uhr in Jasper, braucht inklusive Sightseeingtour 10 Stunden nach Calgary. Der zweite fährt um 12.30 Uhr los und ist gleichzeitig wie der frühere in Calgary.

Wir überlegen hin und her. Die komfortabelste Variante wäre ein Taxi. Sie kostet mehr, doch für uns beide Einarmigen und unser ganzes Gepäck die mit am wenigsten Aufwand und Leiden verbundene.

Also gut! Gesagt, getan…Um 11 Uhr ist unser Fahrer pünktlich da. Ryan, ein schlanker, grossgewachsener Mittvierziger mit langen Rastazöpfen, wachen Augen und spitzbübischem angegrauten Bart.

Er packt zu, hebt Mr. Ed mühelos in seinen Van, verstaut die Koffer und dann auch uns sicher auf bequemen Autositzen.

Everything okay? Do you want first coffee or tea?

Als wir erfreut zustimmen — für ein Frühstück hat die Zeit nicht gereicht — fährt Ryan in die Patricia Street und rennt zu Fastfoodkette Tim Hortens.

Wir staunen nicht schlecht als Tim, unser Begleiter und Fürsorger nach der Ankunft des Rocky Mountaineer, die Strasse entlang kommt. Das gibt ein freudiges und sehr herzliches Wiedersehen. Er hat seine kleine Tochter Brooklyn bei sich. Gerade vor wenigen Minuten hat uns Ryan von Tim, dem Single Daddy erzählt.

Unser Tag kann nur gut werden: der sympathische Ryan und das Wiedersehen mit Tim lässt uns optimistisch die Fahrt angehen.

Es wird eine unvergesslich schöne Reise mitten durch die Rocky Mountains. Diese Kolosse aus Granit und Gneis reihen sich pyramidenartig neben und hinter einander. Manche tanzen formmässig aus der Reihe, sind gezackt oder haben mehrere abgerundete Gipfel. Etwas haben sie alle gemeinsam, es ist, als hätte ein Riese seine Kuchen mit Puderzucker bestäubt.

Ja, es ist kalt draussen. Wir fahren an Schneehaufen vorbei und zeitweise durch Schneegestöber. Der Himmel hat schon seine Winterfarben angenommen und ich habe das Gefühl, an einem Wintertag im warmen Auto unterwegs zu sein. Dann scheint wieder die Sonne und im Hintergrund wird die nächste Schneewetterfront dicht und grau sichtbar.

Langsam werden die Rockys ausgedehnter, niedriger. Das enge Tal weitet sich in eine unendliche Ebene. Braune, buschige Felder reihen sich aneinander. Und dann tauchen plötzlich, wie aus dem Nichts, glänzende, gläserne Hochhaus-Türme auf. Calgary! Wir haben unser Ziel erreicht. Ryan war uns ein toller Fahrer und Reisebegleiter. Wir sind froh, in unserem Hotel gelandet zu sein und froh, als wir von Ryan die Nachricht bekommen, dass er wieder heil in Jasper angekommen sei.

Durchhängen in Jasper

Nach den turbulenten Ereignissen der letzten Tage haben wir beschlossen, uns einen ruhigen Tag zu gönnen. Ob Jasper hierfür der richtige Ort ist? Gute Frage! Je nach Möglichkeiten der Ruhesuchenden, würde ich meinen.

Am Abend unserer Ankunft zählt uns die recht angestrengt wirkende Rezeptionistin (hat sie gerade das anstrengende Check-in mit den Koreanerinnen hinter sich?) alle Möglichkeiten von ihrem Hotel und Jasper auf:

Thermalbad — ich halte meinen Gipsarm hoch.

Naturpark — wir deuten auf Mr. Ed, den wir im Moment vor weiteren Strapazen bewahren wollen.

Massage — nicht einfach bei einem Spastiker oder einer Armbruchpatientin, die sich nur in Massage untauglichen Körperpositionen entspannen kann.

Das Gesicht der jungen Frau wird länger und länger und mündet schliesslich in ein mitleidiges Schulterzucken …

Wir geniessen den freien Tag auf unsere Weise: Ausschlafen, gemütliches Aufstehen. Das Frühstück im Hotel lassen wir sausen. Wir machen uns gegen Mittag auf den Weg ins Zentrum  von Jasper und halten Ausschau nach einer Gaststätte und einem Reisebüro, um zu essen und unsere Weiterreise nach Calgary zu organisieren.

Wider Erwarten wird auch dieses doch eher anspruchslose Unterfangen zu einem kleinen Abenteuer. Die ersten Restaurants, die noch nicht Saisonschluss haben, sind nur über mindestens drei Stufen erreichbar. Die ebenerdig zugänglichen bieten kantonesisches Essen oder die unvermeidlichen Burger an. Richtig, das ist unseren Geschmacksnerven heute nicht zuträglich.

Je weiter wir gehen, desto mehr zugängliche Souvenirs-Shops und Restaurants werden sichtbar. Wir wählen ein Pizza versprechendes Lokal aus. Die Wände sind orange gestrichen, einfache Holztische stehen planlos angeordnet im Raum. Hinter der Theke, mit Einblick in die Küche, steht eine junge Frau. Ihr Slang ist nur schwer verständlich, doch wir kommen zu allem, was wir brauchen: Wasser in roten Plastikbechern, Pizza auf Blechformen, Besteck aus einem Kasten an der Theke und Servietten aus dem Behälter auf dem Tisch. Die Pizza schmeckt und wir sitzen im Warmen, was wollen wir mehr!

Aufgewärmt suchen wir das Reisebüro. Hier bekommen wir die Auskunft, dass zwar ein Bus nach Calgary fahre, dass dieses Büro jedoch erst die Fahrten ab 1. November organisiere. Das jetzt im Oktober zuständige habe aber schon Saisonschluss! Diese Info provoziert bei uns erst lange Gesichter, dann schallendes Gelächter.

Zurück im Hotel betrauen wir Derek, den jungen und aufgeschlossenen Herrn an der Reception mit der Aufgabe, unsere Reise nach Calgary zu organisieren. Der einfachere Weg zum Ziel. Obwohl, uns gefallen die abenteuerlichen meistens besser!

Es geht weiter… Von Kamloops nach Jasper

Nach der gespenstischen und sorgenvollen Nacht im sagenumwobenen Hotel Plaza lichten sich mit den sich verziehenden Nebelschwaden langsam unsere Bedenken wegen Mr. Ed. Er soll von einem sehr erfahrenen Mountaineer Mechaniker in Jasper in Obhut und Pflege genommen werden. 

Der Transfer vom Hotel zum Zug gestaltet sich nicht ganz einfach. Christoph hat zu wenig Kraft, um sich selbst fortzubewegen, und ich kann den Rollstuhl einhändig nicht schieben. Wir werden von Haley, einer charmanten Angestellten des Rocky Mountaineers, abgeholt, in ein Taxi verfrachtet und zum Zug gefahren. Schon bald sitzen wir wieder in unseren Sesseln des Vortages. Kaum haben wir uns eingerichtet, steht der Zugsmanager Ira vor uns. Er strahlt soviel Kompetenz, Zuversicht und Herzlichkeit aus, dass wir uns langsam entspannen können. Als er uns zusichert, dass in Jasper entweder ein Ersatz-Elektro-Rollstuhl oder der geflickte Mr. Ed auf uns warten wird, steigt unsere Stimmung mit jedem gefahrenen Kilometer.

Ja, und schon steht wieder das doppelgängige Frühstück auf unseren Tischchen. Wir entscheiden, die Fahrt zu geniessen und uns verwöhnen zu lassen. Bald ist auch unser Lachen zurück. Das ist nicht sehr schwierig, da wir von sieben schlafenden, Musik hörenden, Karten spielenden Koreanerinnen umgeben sind, die nur hinausschauen und sofort aufspringen, wenn der Zug für ein Fotosujet die Fahrt verlangsamt. Dann zücken sie ihre Smartphones und schiessen Fotos, was das Zeug hält. Wach und aktiv sind sie auch, wenn es kulinarisch wird. Sie schaufeln das Essen in sich hinein, als hätten sie vor dieser Fahrt tagelang gefastet. Doch das ist der unwichtigste Part unserer Fahrt!

Die Reise geht ausserhalb Kamloops durch ein weites Tal, das sich völlig von der gestrigen kargen Landschaft unterscheidet. Wir fahren durch grüne, fruchtbare Ebenen, die voller Beerenfelder sind: Cranberrys, Blueberrys and Strawberrys. Einfachste Siedlungen aus Blechhütten und Wohnwagen, davor Indianerpferde oder ein paar Kühe wechseln mit Farm- oder Blockhäusern ab.

Weiter geht’s durch dichte Wälder mit Tannen, Birken, Ahornen und Bäumen, die Farnen ähnliche Blätter haben. Mitunter ist der Wald beidseitig des Geleises so dicht, dass ich den Eindruck habe, wir fahren durch grüne Tunnels.

Zwischendurch lichtet sich der Wald. Flusslandschaften, eindrückliche Canyons mit Sandbänken tauchen auf. Ab und zu fliegt ein Seeadler oder eine Möwe vorbei. Ich hoffe immer noch, einen Bären zu sehen. Ob dieser Wunsch wohl heute in Erfüllung geht?

Ein für die Eisenbahnlinie der Canadian National typisches Phänomen begegnet uns heute immer wieder: die überlangen doppelstöckigen Güterzüge. Christoph zählt einmal 144 Wagons an einem Zug. Dies ergibt eine Zuglänge von bis zu zweieinhalb Kilometer! Sie donnern von riesigen Diesellokomotiven gezogen an uns vorbei. Der Rocky Mountaineer hält öfters an, um sie zu kreuzen.

Plötzlich weitet sich die Landschaft. Bewaldete Hügelzüge reihen sich schier endlos aneinander. Einmal steigt auf einer grossen Fläche Rauch auf. Waldbrände gibt es hier viele. Verursacht werden sie durch einschlagende Blitze, unachtsame Menschen oder werden gezielt gelegt, um den Wald zu erneuern. An vielen Hügelzügen wachsen neue Ahorne und Büsche, der Boden schimmert graugrün von den Flechten, die ihn überziehen. Dazwischen stehen die verkohlten Baumstämme der alten Bäume.

Und dann tauchen am Horizont die frisch verschneiten Gipfel der Rocky Mountains auf! Felsige urwüchsige Riesen kommen näher, erheben sich hinter den Flüssen, hinter grünen Wiesen und goldenen Bäumen. Der höchste von ihnen, der Mount Robson, zeigt uns heute sogar seinen Gipfel, der auf 3954 Meter in den Himmel ragt. Das sei ein höchst seltener Anblick, wird uns später erklärt. Also ein weiterer Höhepunkt dieses Tages.

Nun sind wir noch eine knappe Stunde von Jasper entfernt. Zum Abschluss der Reise gibt es ein Cookie und ein Glas Sekt. Gerade als wir anstossen wollen, schreit jemand: Bear!  Und tatsächlich, da steht ein riesengrosser Schwarzbär an der Böschung: Mein Bär!

Ob dies ein gutes Zeichen für unsere Einfahrt in den Bahnhof von Jasper ist? Gleich werden wir erfahren, ob sich Mr. Ed schon über unser Wiedersehen freuen kann und wir uns mit ihm. 

Mit dem Rocky Mountaineer von Vancouver nach Kamloops

Pünktlich um 6 Uhr steht das Rollstuhltaxi vor dem Hoteleingang. Mr. Ed samt Christoph quetschen sich zwischen Swisstrac und Koffer. Vancouver-Sightseeing mit guter Sicht durchs Heckfenster am frühen Morgen im Kofferraum, eine Premiere. Nicht die einzige am heutigen Tag!

Beim Bahnhof der Rocky Mountaineer Gesellschaft werden wir von Gepäckträger Kevin empfangen. Er ist schon sehr munter und quasselte uns mit Infos und Fragen zu. Hinzu kommt sein kanadisches Englisch und ein leichtes Stottern. Da müssen wir aufwachen um mitzuhalten!

Der Empfang in der Halle ist very heartfull and very British. Alle Mitarbeitende des Mountaineer in Uniform und von echter warmer Herzlichkeit. Nun haben wir 45 Minuten Zeit für Coffee, Tea and Souvenirs, untermalt mit der Musik eines Flötisten. Very nice, indeed! Von heute an werden wir gut bewacht von Jasper, unserem Bären. In den Rocky Moutains kann dies durchaus von Vorteil sein.

Um 7.10 Uhr werden wir zu unserem Wagon begleitet. Christoph und Mr. Ed werden mittels Hebebühne in den Wagon verfrachtet. Mr. Ed kommt zurück, er wird im Truck mit dem Gepäck nach Kamloops reisen. Ich wünsche ihm gute Fahrt, gebe dem Personal letzte Anweisungen, wie Mr. Ed behandelt werden möchte und hoffe, dass er uns am Abend in Kamloops im Hotel wohlbehalten erwarten wird.

Und nun geht die Reise los. Die Sonne ist gerade aufgegangen, lässt die nahen Hochhäuser aufblitzen und die roten und gelben Blätter von Bäumen und Büschen leuchten. Sie leuchten mit unseren Augen um die Wette. Auf diesen Moment haben wir uns so sehr gefreut und sind nun doppelt dankbar, dass wir trotz des Ereignisses in Victoria in unseren Sesseln im Rocky Mountaineer sitzen.

Die Fahrt geht, ja, sie geht wirklich fast, im Schritttempo durch die Vororte Vancouvers, durch Industriegebiete. Zwischendurch bekommen wir einen Vorgeschmack auf die kommende Landschaft: gelbverfärbte Ahorne zwischen Tannen und Fichten, imposante Stahlbrücken über den Fluss, Sandbänke. Der Zug beschleunigt, verlangsamt, wenn es etwas Besonderes zu sehen und zu fotografieren gibt: Eine Felsformation, zwei sich kreuzende Eisenbahnbrücken, Valleys. Wir fahren stundenlang durch das Fraser Valley. Simon Fraser kam als sechzehnjähriger zur Zeit der Goldsucherzeit in dieses Valley. Er war krank und erfuhr von den Indianern, dass der Fluss an der engsten Stelle heilsame Kräfte habe. Er wagte sich todesmutig in das kalte, reissende Wasser und wurde wieder gesund und eine berühmte Persönlichkeit der kanadischen Goldgräbergeschichte.

Zwischen den Erläuterungen unserer Zugbegleiter werden wir fast nonstop kulinarisch verwöhnt. Vom Zweigang Frühstück über Drinks mit Snacks, zum Lunch mit Salat und feinstem Schokoladekuchen als Dessert. Begleitet von etwas Neuem für uns: Baleys-Tee. Mmmm… 

By the way: das Abendessen haben wir ausgelassen.

Nach den Flusslandschaften folgt in höheren Lagen die kärgere, aber nicht minder schöne Landschaft. Einzelne Fichten auf verschiedenst farbigem Felsuntergrund. Im Gestein findet sich Eisen, Kupfer oder Schwefel, das die Steine eingefärbt hat.

Immer wieder erschallt zwischendurch der Ruf: Eagles on the right side …. Four Eagles at the left … Riesige schwarz-weisse Seeadler sitzen auf Bäumen oder Masten, fliegen im Tiefflug über den Fluss. Bears … ertönt nur einmal. Leider hat der Zug diesmal nicht verlangsamt.

Am Ende der Reise, gegen 18 Uhr, fahren wir dem Kamloops Lake entlang. Die Natur ist weitestgehend unberührt und von karger Schönheit. Spuren von Menschen sind sichtbar, doch zeugen sie leider nicht von Behutsamkeit und Respekt gegenüber der Natur.

Der Zug hält still und wir werden von eisigem Wind empfangen. Was Kamloops uns wohl zu bieten hat? Vielleicht kann uns Mr. Ed schon etwas über dieses Goldgräberdorf erzählen.

Die französische Lady

Sie sitzt zwei Stühle von mir entfernt, aufrecht mit durchgestrecktem Rücken. Ihr Gesichtsausdruck zeigt mir ihr Unbehagen, gleichzeitig strahlt sie eine natürliche Würde aus. Lady like, würden es die Bewohner von Victoria vermutlich bezeichnen.

Wir sitzen in einem Warteraum zur Radiology in der Emergency of Island Medical Victoria. Die junge Frau zwischen uns wird aufgerufen. Wir sind unter uns. Da spricht sie mich an:

Warten Sie auch schon lange? Ihr English ist perfekt, doch ihr Akzent ist unverkennbar französisch.

Parlez vous français?, meine Frage. Ihr Gesicht hellt sich etwas auf.

Ah … oui ! Ob ihr Akzent so stark sei, fragt sie mich etwas erstaunt.

Wir tauschen unsere Unfälle aus. Sie war bei einer Freundin um Thanksgiving zu feiern, stolperte über eine Schwelle und brach sich vermutlich die Schulter. Aber mein Unfall und die Folgen für unsere Ferienreise seien ja viel schlimmer als der ihrige. Dabei verzieht sie schmerzvoll das Gesicht. 

Wir bekommen gewärmte Tücher, geniessen, dass die von den Schmerzen verursachte Kälte etwas abnimmt.

Später erzählt sie mir ihre Einwanderungsgeschichte: Sie kam mit ihrem Mann aus Frankreich nach Kanada. Er sei vor 40 Jahren verstorben, und sie lebe alleine hier in Victoria. Alleine mit ihren 82 Lebensjahren. Wenn es einmal  nicht mehr möglich sei, würde sie in ein Asyl umziehen.

Meine Frage, ob es für sie nicht einfacher wäre im französischen Gebiet Kanadas zu leben, verneint sie vehement.

C‘est à cause du clima. A Québec les hivers sont terriblement froids. 

Da werde ich aufgerufen. Wie gerne hätte ich ihr den Vortritt gelassen! Sie wartet schon länger als ich. Aber als Ausländerin werde ich offensichtlich privilegiert behandelt.

Wir wünschen uns gegenseitig alles Gute und vermuten, dass wir uns im nächsten Warteraum wiedersehen werden. Dem ist nicht so.

Am nächsten Tag während der Stadtbesichtigung verstehe ich die französische Lady. Sie passt in diese englische Stadt, und ich hoffe sehr, dass es ihr bald wieder besser gehen wird.

Die gläserne Stadt

Endstation des Canada Line SkyTrain, der uns vom Flughafen ins Stadtzentrum von Vancouver fährt. Meine erste Kopfbewegung beim Ausgang der Waterfront Station geht nach oben. Ja, mein Blick wird förmlich nach oben gezogen. Glänzende Glasfassaden streben zum Himmel, spiegeln sich einander und vereinen sich zu einer gläsernen Skyline. Faszinierend, schwindelerregend. Hier waren kreative Architekten am Werk. Je länger ich die gläsernen Türme. betrachte, desto mehr Details erkenne ich. Da gibt es auf der Höhe des 73. Stockwerkes einen Erker in moderner Dreiecksform, filigrane Holzverzierungen laufen über ganze Fassaden, auf Dachterrassen in geschätzten 300 Meter Höhe wachsen ganze Wälder, viereckige Höchsthäuser enden in einer Kuppel … Der Fantasie ist keine Grenze gesetzt. 

Mein Blick wird durch ein lautes Kuckkuck auf die Strasse gelenkt, oder genauer auf den Fussgängerstreifen. Hier zwitschern die Fussgängerampeln in etwas verstimmten Terzen, wenn die Strasse für die Fussgänger frei gegeben wird. So wird unser erster Spaziergang durch die Stadt von vielstimmigem Kuckuck begleitet. Eine wahrlich an Vogelstimmen reiche Stadt! Die Ampelanlagen an den Kreuzungen stehen mit ihrem altertümlichen Design im kuriosen Gegensatz zu den hochmodernen Glasfassaden. Altbewährtes mischt sich mit der Moderne. Dieses Motto begleitet uns durch die ganze Stadt. Alte, zweistöckige Bauten stehen neben Spiegeltürmen, Kirchen werden zwischen Neubauten fast zerquetscht, alte quietschende Busse rumpeln durch die Strassen, vorbei an Grieder–Boutiquen mit der neusten Mode.

Menschen aller Nationen drängeln durch die Strassen, eine multikulturelle Gesellschaft erzählt noch heute von der Einwanderungsgeschichte Kanadas.

Und mitten in dem Getümmel unser Trio: Christoph mit Mr. Ed und ich. Alle sind wir etwas übernächtigt, inzwischen ist es zuhause 4 Uhr morgens, was aber unserer Neugierde und Abenteuerlust nicht abträglich ist. Vor allem Mr. Ed scheint noch Energie zu haben. Bei den Ampeln mag er jeweils kaum das Kuckuck abwarten. Er steht schon lange vorher mit den Vorderrädern auf der Strasse. Oder ist er so musikalisch, dass er den verstimmten Terzen entfliehen will?

Pilze auf Eis

Weisse Wattebäusche wirbeln um den eleganten Flügel unseres Flugzeugs. Wir sind in ein Wolkenmeer gehüllt, nur ab und zu wird der schmale blaue Streifen eines Horizontes sichtbar. Hier oben verschwindet das Gefühl für Zeit und Raum. Wir fliegen der Zeit davon. Wir fliegen nach Westen — dem neuen Tag entgegen.

Der blaue Streifen wird breiter, die Wolken werden zu lichtem Nebel, zu Fetzen und plötzlich ist alles klar.

Ich bin in einer Zauberwelt gefangen. Unter mir liegen riesige Pilze. Weiss, rosa, braun. Pilze, als seien sie für Riesen gewachsen. Sie liegen in ihrer urgewaltigen Schönheit da. Unverrückbar, gefangen im ewigen Eis. Ihre Gestalten werden von der Morgensonne belebt, durch das Spiel von Licht und Schatten. 

Eine unwirkliche Welt, unberührt und scheinbar unbelebt. Für wen ist sie bestimmt? Für kurze Zeit für uns, die wir ob diesem Wunder der Natur staunen dürfen. Für kurze Zeit, da uns unser Flugzeug weiterbringt, immer weiter nach Westen unserem Ziel Vancouver entgegen.